Interview mit Frau Dr. Franka Christen

Schulleiterin der Gesamtschule Hardt in Mönchengladbach

In Schulen kommen Schülerinnen und Schüler mit verschiedensten Hintergründen zusammen. Das birgt oft Konfliktpotential. Frau Dr. Franka Christen ist seit August 2023 Schulleiterin der Gesamtschule Hardt in Mönchengladbach. Ihr Ziel ist es, dass die Schule ein Schutzraum ist, in dem ein angenehmes Miteinander die Basis für gemeinsames Lernen und Arbeiten ist. Gewalt hat an Schulen daher keinen Platz, man sollte ihr mit verschiedenen präventiven Ansätzen und Maßnahmen begegnen.

Liebe Frau Christen, als Schulleiterin legen Sie großen Wert auf ein respektvolles und tolerantes Miteinander an Ihrer Schule. Nun liest man immer häufiger in den Medien von Gewalt an Schulen. Ist das auch an Ihrer Schule ein Thema?

Ja, selbstverständlich. Eine gänzlich gewaltfreie Schule gibt es nicht. Und Schule ist auch ein Ort, in dem sich junge Heranwachsende ausprobieren. Da passieren Übergriffe vielfältiger Art, sei es verbal, körperlich, sexualisiert. Das ist nicht schön, aber es passiert. Umso wichtiger ist es, sich darüber im Klaren zu sein und handlungsfähig zu sein und zu bleiben. Wir brauchen vielfältige Strategien, diesen Übergriffen konsequent zu begegnen. In der Schule haben wir ein Präventions- und Beratungsteam, zusammengesetzt aus Lehrpersonen, Beratungslehrer:innen, Schulsozialarbeit, Sonderpädagog:innen und Schulleitungsmitgliedern. In akuten Krisensituationen kommen gewählte Mitglieder dieses Teams zusammen, helfen in der akuten Lage und beraten sich, indem sie alle weiteren Schritte gemeinsam absprechen. Dafür gibt es auch den sogenannten Notfallordner und das Handbuch für Krisenprävention. Wir arbeiten somit in einem multiprofessionellen Team, zusammengesetzt aus Schulsozialarbeit, Sonderpädagog:innen, Beratungslehrer:innen, Lehrkräften und der schulpsychologischen Beratungsstelle.

Jegliche Art von Gewalt muss eine Konsequenz erfahren und zeitgleich muss es ein Angebot der Wiedergutmachung geben. Schüler:innen dürfen Fehler machen, um es in der Folge besser zu machen. Das ist ein Lernprozess. Dafür ist die Entwicklung einer präventionssensiblen Schulkultur unabdingbar mit einer positiven Haltung, guten Beziehungen, Vertrauen und gewaltpräventiven Maßnahmen. Das geht nur gemeinsam und systemisch. Prävention muss im Alltag verankert sein. Vom ersten Tag an bis zum Abschluss, sei es durch Demokratiebildung, soziales und emotionales Lernen, Lernen durch Engagement, Vielfalt leben und vieles mehr. Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen Selbstwirksamkeitserfahrungen und stabile Beziehungen. Sie brauchen in der Schule den nötigen Raum, um positive Erfahrungen im Umgang mit Gewalt zu machen. Sie brauchen Pädagog:innen, Schulsozialarbeiter:innen, die sie auf ihrem Weg zum Erwachsen werden eng begleiten und unterstützen. Sie müssen sich sicher, wertgeschätzt und eingebunden fühlen. Schule muss ein Schutzraum für unsere Kinder sein. Sie haben ein Recht darauf, angstfrei zur Schule zu gehen. Dafür müssen wir als Pädagog:innen/ Schulsozialarbeiter:innen Sorge tragen und Vorbilder sein.

Was ist denn aus Ihrer Sicht die häufigste Form von Gewalt und durch welche Faktoren wird sie begünstigt?

Mir ist bis jetzt in meiner Zeit als Lehrerin, Stellv. Schulleiterin und auch Schulleiterin jegliche Form von Gewalt begegnet: Physische und psychische Gewalt, Mobbing/ Cyber-Mobbing, Wohlstandsverwahrlosung, sexualisierte Gewalt, sexuelle Übergriffe, Waffenmissbrauch, Drogenmissbrauch. Social Media, die unkontrollierte Nutzung von Smartphones/ Endgeräten begünstigt das sicherlich stark. Unsere Gesellschaft hat es nicht geschafft, unsere Kinder und Jugendlichen davor zu schützen. Es gibt im Internet keinen Schutzraum. Alles ist frei verfügbar, immer und zu jeder Zeit, ungefiltert. Ich habe selbst auch keine Lösung dafür außer, dass wir Angebote schaffen, die unseren Kindern und Jugendlichen eine Alternative zum Abhängen am Endgerät bieten. Sie müssen Bock haben, sich mit etwas anderem zu beschäftigen und dabei erfahren, wie schön es sein kann, selbstwirksam zu sein. Zum Beispiel als Streitschlichter:in, Buddy, Pat:in, Schulsanitäter:in, Sporthelfer:in, Medienscout, Lernhelfer:in usw.. Ebenso wichtig sind Sportangebote, Kreatives, Musisches oder Kulturelles. Und unsere Kinder und Jugendlichen benötigen klare Regeln im Umgang mit Medien sowie eine gute Begleitung bei der Mediennutzung. Ich habe gute Erfahrungen mit den Medienscouts NRW gemacht.

Meiner Meinung nach gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten unterschiedliche Formen von Gewalt. Sicherlich in unterschiedlicher Qualität und Ausprägung. Aber Gewalt findet überall statt. Es fängt schon bei kleinen Beleidigungen an. Als Schule, als gesamte Schulgemeinde, muss man sich genau darüber verständigen. Was wollen wir leben? Welche Schulkultur wollen wir pflegen? Wie wollen wir uns begegnen? Wie miteinander leben? Wie miteinander kommunizieren? Wie miteinander arbeiten und lernen. Was tolerieren wir, wo ziehen wir Grenzen? Wie gehen wir mit Übergriffen um? Wie binde ich meine jungen Heranwachsenden ins Schulleben ein, damit sie wachsen, positive Erfahrungen im Zusammenleben sammeln? Schule ist ein Lern- und Lebensraum, der von allen Beteiligten mitgestaltet werden muss. Nur dann findet eine Identifikation mit der Institution statt und ich gehe wertschätzend und verantwortungsbewusst damit um. Wir benötigen eben eine präventionssensible Schulkultur, die von allen am Schulleben Beteiligten gestaltet und gelebt wird. Partizipation ist ein Schlüsselwort.

Was kann denn die Schule tun? Haben Sie ein Geheimrezept?

Das ist eine Frage der Haltung. Als Schulleiterin muss ich diese wertschätzende, positive Haltung vorleben und mit der Schulgemeinde gemeinsam immer wieder daran arbeiten und sich darüber verständigen. Schüler:innen brauchen vertrauensvolle, stabile Beziehungen und soziale Unterstützung.

Gewaltprävention gelingt nur systemisch. Wir brauchen eine Schulkultur, in der sich alle geschützt, wohl, wertgeschätzt und eingebunden fühlen. Das ist eine immerwährende Aufgabe, die man immer wieder überarbeiten und nachsteuern muss.

Ein tolles Programm ist Mind Matters. Gesundheitsfördernde Schul- und Tagesstrukturen sind wichtig für eine gelingende Prävention und ein gutes Schulklima. Gute Beziehungen wirken als Glücksquelle und Puffer gegen Stress und stehen in signifikanten Zusammenhängen mit Motivation, Engagement und Leistung. Beziehungsstörungen in Schule und Unterricht hingegen haben negative Folgen für alle.

An meiner alten Schule haben wir den Schulpreis der Unfallkasse NRW "gute gesunde Schule" gewonnen. Ich bin überzeugt davon und habe sehr gute Erfahrung damit gemacht. Gesundheit, Wohlbefinden, Leistungsmotivation und Bildungserfolg der Schüler:innen hängen mit Merkmalen des Unterrichts, des Schulklimas, des Schulleitungshandelns sowie mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden, erfolgreicher Präventionsarbeit der Lehrpersonen und Schulleitungen zusammen. Gemeinsame Ziele, Werte, Überzeugungen, Rhythmisierung und Regeln und klare Strukturen sind hierfür grundlegend.

Ebenso sind Programme wie die Streitschlichter, Medienscouts, Buddys, Schule der Vielfalt, Demokratiebildung und viele mehr sehr wichtig. Dadurch erfahren Schüler:innen Selbstwirksamkeit, Wertschätzung und sind eingebunden.

Wünschen Sie sich mehr Unterstützung durch Eltern oder eher gesetzliche Regelungen?

Ich wünsche mir mehr Geld für gute Fortbildungen und externe Unterstützer für mein gesamtes Schul-Team. Wir bräuchten dringend Supervisoren in Schule, für Coaching oder kollegiale Fallberatungen. Wir bräuchten mehr Professionen wie Schulsozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Ergotherapeut:innen, Krankenpfleger:innen usw.. Das müsste selbstverständlich sein.

Ebenso bräuchten wir Geld für unsere Schüler:innen, um Programme für Demokratiebildung, soziales und emotionales Lernen, vertrauensbildende Maßnahmen usw. wiederkehrend zu finanzieren. Nach Corona haben wir über zwei Jahre viel extra Geld bekommen. Sowohl für Materialien als auch für Programme. Das war so toll und hat so viel Gutes gebracht. Das sollte immer so sein. Und unsere Schulen müssen zu Wohlfühlorten werden, insbesondere auch durch schöne Gebäude und Räume!

Liebe Frau Christen, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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