"Menschen müssen während ihrer Tätigkeit vor dem Virus geschützt werden"

Im Interview mit Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV

Das Bild zeigt Dr. Stefan Hussy, den Hauptgeschäftsführer der DGUV

Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV
Bild: Jan Röhl/DGUV

Vor gut einem Jahr erreichte das SARS-CoV-2-Virus die Arbeitswelt in Deutschland. 365 Tage im Krisenmodus mit drastischen Einschnitten in den Betrieben und Einrichtungen. Um ihren Präventionsauftrag zu erfüllen, übernahm die gesetzliche Unfallversicherung eine Reihe neuer Aufgaben unter den Bedingungen der Pandemie. Ein Rück- und Ausblick im Gespräch mit Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Herr Dr. Hussy, das zurückliegende Jahr war enorm kräftezehrend. Wo lagen die größten Herausforderungen für die gesetzliche Unfallversicherung?

In der Tat, es sind sehr besondere Zeiten. Zu stemmen war ein Bündel vielschichtiger Aufgaben – und zwar ad hoc und auf verschiedenen Ebenen. Die Pandemie betrifft eben alle Menschen und alle Lebensbereiche. Arbeitsplätze gesund und sicher zu gestalten – das ist eine unserer Kernaufgaben. So waren wir sehr schnell nach dem Ausbruch der Pandemie aktiv.

Bereits vor dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard haben die Unfallversicherungsträger begonnen, Informationen für Betriebe zu erstellen. Parallel haben wir den Gesetzgeber bei der Entwicklung des Standards unterstützt. Auf politischer Ebene gab und gibt es enge Kooperationen und Austausch vor allem mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, den Sozialpartnern, dem Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). In einem zweiten Schritt mussten die daraus resultierenden Vorgaben für die Unternehmen und Einrichtungen so aufbereitet werden, dass sie schnell und praxisnah umgesetzt werden konnten. Daneben realisierten wir Aufklärungskampagnen, etwa „Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz“. Unter diesem Claim haben wir für die AHA-Regel geworben und uns später mit #LüftenHilft engagiert. Und letztendlich ging es darum, den eigenen Betrieb an unseren Standorten aufrecht zu erhalten und arbeitsfähig zu bleiben: mit Hygieneplänen, einem Stufenplan, regelmäßigen Informationen und weitgehend Homeoffice – so wie es viele Betriebe und Einrichtungen auch getan haben. Für unsere Forschungs- und Bildungseinrichtungen war dies eine ganz besondere Herausforderung.

Welche Unterstützung brauchten die Unternehmen?

Eine Kernaufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Prävention mit allen geeigneten Mitteln. Für uns bedeutet das: Menschen müssen an ihrem Arbeitsplatz, während ihrer Tätigkeit vor dem Virus geschützt werden. Der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard, der seitens des Gesetzgebers dafür verabschiedet wurde, stellte hierfür die Weichen. Er schuf bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für den betrieblichen Infektionsschutz.

Doch was bedeutet das nun konkret für ein Callcenter, ein Kosmetikstudio, den Supermarkt, eine Druckerei oder eine Schule? Gemeinsam mit den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben wir den Standard wie vorhin geschildert für die betriebliche Umsetzung in mehreren Hundert Branchen in kürzester Zeit konkretisiert. Das war eine Mammutaufgabe, aber absolut wichtig. Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz – das zeigt sich während der Pandemie sehr deutlich. Weil sich die Vorgaben seitens des BMAS wandelten und sie von den Ländern unterschiedlich adaptiert wurden, gab es bedeutend mehr Anfragen an die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen.

Wie sah die Beratung durch die Präventionsdienste aus?

Wir wussten – wie alle anderen auch – am Anfang der Pandemie sehr wenig über das Virus, die Übertragungswege und Auswirkungen. Die Verunsicherung war auf allen Seiten groß. Aber eines war klar, Arbeitsschutz hört in einer Pandemie nicht einfach auf. Manche Branchen arbeiten derzeit auf Hochtouren, etwa der Bau. Also mussten wir neue Wege finden, um Beratungen und Kontrollen zur Umsetzung der Maßnahmen zu ermöglichen. Zu jeder Zeit waren und sind wir für die Unternehmen und Einrichtungen da – der Informationsbedarf war und ist immens.


Zu sehen ist der Empfang einer Arztpraxis. Die Arzthelferin trägt eine medizinische Mund-Nase-Bedeckung und sitzt hinter einer Plexiglasscheibe.

In Arztpraxen tragen unter anderem Abtrennungen, Kontaktreduzierung und medizinische Mund-Nase-Bedeckungen dazu bei, Beschäftigte vor dem erhöhten Infektionsrisiko zu schützen.
Bild: AdobeStock/ Adrey Popov

Der Arbeitsschutz in der Pandemie wurde auch von politischer Seite eingefordert?

Ja natürlich und zu Recht. Der Präventionsauftrag der Unfallkassen und Berufsgenossenschaften ist gesetzlich verankert. Wir sollen mit allen geeigneten Mitteln darauf hinwirken, dass Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren gar nicht erst passieren. Deshalb führen wir unter anderem branchenspezifische Beratungen in Betrieben und Bildungseinrichtungen durch und übernehmen die hoheitliche Überwachung der Schutzmaßnahmen vor Ort. Gelegentlich wünsche ich mir für unser Handeln allerdings deutlich mehr politischen Rückhalt, etwa für unsere Aufsichtspersonen. Sie gehen auch während der Pandemie in die Betriebe, beraten und überprüfen Sicherheit und Gesundheit ebenso wie Maßnahmen zum Infektionsschutz. Damit tragen sie dazu bei, dass viele Betriebe und Einrichtungen auch unter den derzeitigen Bedingungen möglichst sicher arbeiten können. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Tätigkeit wie viele andere auch als systemrelevant eingestuft wird. In den vergangenen Monaten sind von verschiedenen Seiten immer wieder mehr Kontrollen angemahnt worden. Dazu sollten dann aber auch die Voraussetzungen für die Kolleginnen und Kollegen im Außendienst geschaffen werden, zum Beispiel was die Notbetreuung der Kinder betrifft.

Wirkt der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard? Wie sicher sind die Arbeitsplätze?

Abschließend lässt sich noch kein Fazit ziehen, doch die kürzlich veröffentlichte Studie „Corona-Risiko im Einzelhandel“ bestätigt den eingeschlagenen Kurs. Die gemeinsame Studie der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik und der BAuA zeigt, dass es bei der Arbeit im Einzelhandel keine erhöhte Infektionsgefährdung durch das SARS-CoV-2-Virus gibt. Eine wesentliche Rolle spielen dabei sehr wahrscheinlich die Schutzmaßnahmen – also Abtrennungen an den Kassen und Bedientheken, Abstandsregeln, Masken, verstärkte Lüftung und Reinigung. Das stimmt leicht positiv. Aber wir befinden uns noch mitten in der Pandemie, der weitere Verlauf ist ungewiss. Wir hoffen, dass immer mehr Branchen wieder ihren Betrieb aufnehmen können. Wie das sicher gelingt, dazu beraten wir gerne.

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