Interview mit Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes
Mehr als eine Million Menschen in Deutschland sind in Freiwilligen Feuerwehren aktiv. Sie sind gemeinsam mit den Rettungsdiensten die Ersten vor Ort – bei einem Autounfall, einem Brand, einem medizinischen Notfall oder wenn ein Orkan wütet. Sie helfen, und zwar ehrenamtlich. Doch werden sie bei ihrer Arbeit oft verbal oder körperlich bedroht. Das belegt eine Umfrage der Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen eindrücklich. DGUV Kompakt sprach mit Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), über die Auswirkungen auf die Helfenden.
Herr Banse, die Umfrage der Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen hat ergeben, dass mehr als ein Drittel der befragten Mitglieder in den letzten zwei Jahren Gewalt im Einsatz erfahren haben. Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Diese Studie hat erstmals ein übergreifendes, valides Ergebnis gebracht, aus dem man Erkenntnisse verwenden kann. Ich war sehr erstaunt und auch bestürzt, dass Gewalt nicht nur in den Ballungsräumen stattfindet, sondern auch auf dem Land. Das ist eine wichtige Erkenntnis!
Kameradinnen und Kameraden erleben besonders oft Übergriffe durch Worte und Gesten. Was macht das mit ihnen?
Annähernd jeder Feuerwehreinsatz ist mit besonderen Belastungen für die Einsatzkräfte verbunden. Wenn es dann zusätzlich auch noch zu Beleidigungen oder gar tätlichen Angriffen gegen die Einsatzkräfte kommt, hat das fatale Folgen für die Motivation und Hilfsbereitschaft der Helfenden. Die Einsatzkräfte können diese direkt gegen sie persönlich gerichteten Attacken in den meisten Fällen nicht verarbeiten. Die geringe Chance auf einen, aus der Sicht der betroffenen Einsatzkraft, erfolgreichen Gerichtsprozess frustriert die Feuerwehrangehörigen und senkt die Bereitschaft, überhaupt eine Anzeige wegen Beleidigung oder tätlichem Angriff aufzugeben.
Besonders Freiwillige Feuerwehren sind in Kommunen sehr präsent, sichtbar und nicht anonym. Warum fehlt es trotzdem an Respekt?
Ich nehme die gesellschaftliche Entwicklung dergestalt wahr, dass die Ich-Bezogenheit der Menschen immer größer wird. Meines Erachtens zählt oft leider vor allem das persönliche Fortkommen und nicht das gemeinschaftliche Gelingen.
Es ist die große gesellschaftspolitische Herausforderung unserer Zeit, hier wieder zu einem Gemeinwesen zurückzukehren, in dem auch die Menschen, die Leistungen für die Gemeinschaft erbringen, entsprechend in ihren hoheitlichen Handlungen respektiert werden. Wenn es Konflikte gibt, müssen diese mit kühlem Kopf und geschultem Verhalten gelöst werden. Eine klare Kommunikation kann das Problem verringern und zu einem erfolgreichen Einsatz beitragen.
Rund 20 Prozent gaben an, in den sozialen Medien beschimpft und bedroht worden zu sein. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier, sich zu wehren?
Soziale Medien können aufgrund ihrer anonymen Struktur ein Klima der Ablehnung schaffen. Wichtig ist im Social-Media-Management eine klare Kommunikation, die schwelende Konflikte durch Aufklärung über die Feuerwehrarbeit ausräumt.
Viele Übergriffe werden nicht gemeldet, weil es keine behandlungsbedürftigen physischen Verletzungen gibt. Wie können Feuerwehrleute das Erlebte verarbeiten und werden verbale Übergriffe von den Führungskräften ernst genommen?
Äußerst wichtig ist die Zeit für ein Gespräch untereinander nach einem Einsatz. Die Führungskräfte müssen hier unbedingt alle Aspekte ernst nehmen und äußerst sensibel damit umgehen. Die Möglichkeiten der psychologischen Begleitung sind in ihren bisherigen Ansätzen sehr hilfreich, aber sie müssen kontinuierlich fortentwickelt werden.
Was ist zu tun, damit Übergriffe auf Rettungs- und Einsatzkräfte wieder Einzelfälle werden und nicht der Regelfall?
Wir nehmen das Thema sehr ernst! Die Zivilgesellschaft muss zurück zu respektvollen Verhaltensnormen. Der DFV wendet sich in diesem Jahr mit verschiedenen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit, um das Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte bekannt zu machen. Unter anderem wird es dazu am 24. Juni ein großes Symposium während des 29. Deutschen Feuerwehrtages in Hannover geben. Die Verrohung durch die sozialen Medien muss ebenfalls gestoppt, die digitale Vereinzelung beendet werden. Hier sind die kulturellen und sozialen Träger gefragt, nach diesen schwierigen Zeiten die Menschen wieder mit echter, gemeinsamer Aktivität zusammenzuführen. Zudem müssen die Rettungs- und Einsatzkräfte noch stärker im Umgang mit Übergriffen geschult werden. Auch die Dokumentation sowie der Gang zur Polizei beziehungsweise zum Gericht nach einem Vorfall sollte von den Führungskräften unterstützt werden.