Die Normung verändert sich. Sie wird internationaler und politischer, um die „Macht am Markt“ weltweit und in neuen Themenfeldern zu stärken. Über Tendenzen in der Normung und die Möglichkeiten, sichere und gesunde Arbeit darin zu berücksichtigen, sprach DGUV Kompakt mit Angela Janowitz. Sie ist seit Januar 2022 Geschäftsführerin der Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN).
Frau Janowitz, die klassische technische Normung wird verstärkt auf andere Themenfelder wie Dienstleistungen, Managementsysteme oder Qualifizierungen ausgeweitet. Welche Intention steckt dahinter?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Länder wie China sowie bestimmte Wirtschaftszweige wollen sich dadurch neue Märkte erschließen. Die EU-Kommission und der Dienstleistungssektor wiederum wollen das internationale Potenzial des Sektors mittels Normen besser ausschöpfen. Einige Unternehmen wollen die Qualität der Dienstleistungen standardisieren, andere Dienstleistungen zertifizieren oder einheitliche Managementstandards und Qualifikationen schaffen – um sie zum Beispiel an weltweiten Unternehmensstandorten anzuwenden. Wir beobachten als KAN diese Tendenzen sehr genau und bringen uns zu kritischen Punkten ein, wenn diese Normen den Arbeitsschutz berühren.
Die KAN ist kein Normungsgremium, soll aber sicherstellen, dass die Belange des Arbeitsschutzes in Normen berücksichtigt werden. Wie kann das gelingen?
Das funktioniert, indem wir frühzeitig eingebunden werden, zum Beispiel über das Deutsche Institut für Normung. Wir vermitteln dann zwischen den Arbeitsschutzkreisen und Fachleuten. Wir erkennen gemeinsam den Handlungsbedarf, loten Positionen aus und bringen diese gebündelt in die Normung ein. Die aktive Mitarbeit der Experten und Expertinnen der Unfallversicherungsträger, des Staates und der Sozialpartner, die in den Normungsgremien die Fahne des Arbeitsschutzes hochhalten, bleibt unerlässlich. Uns hilft dabei, dass wir sichtbarer geworden sind. Seit zwei Jahren sind wir auch in Brüssel vertreten, denn Normung ist ein europäisches und internationales Geschäft.
Bei den Normen, zum Beispiel im Bereich des Managements, geht es häufiger um sozialpolitische Aspekte. Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Nehmen wir die Normen des ISO TC 260 zum Personalmanagement, die Personalberatungen künftig für ihre Arbeit nutzen wollen. Einige Länder wollen darin auch Themen der Sozialpartnerschaft standardisieren. Ein Normungsantrag des Irans betrifft beispielsweise das Vergütungssystem. Aber Normeninhalte zur Arbeitszeit, Vergütung oder Arbeitsorganisation lehnen die deutschen Sozialpartner sehr deutlich ab.
Auch der Arbeitsschutz ist berührt, wenn Normen zum Personalmanagement Kennzahlen zum Unfallgeschehen am Arbeitsplatz beinhalten. Unternehmen sollen diese für ihr Berichtswesen, zum Beispiel an Aufsichtsbehörden, nutzen können. Aus Sicht der KAN ist diese Norm kein geeignetes Arbeitsschutzinstrument. Dazu sind die Sozialversicherungssysteme viel zu verschieden. Es beginnt schon damit, dass ein Arbeitsunfall weltweit sehr unterschiedlich definiert wird. Unternehmen in Ländern mit umfangreicher Anerkennung von Unfällen wären benachteiligt gegenüber Unternehmen in restriktiveren Systemen.
Es wird kritisiert, dass die Beteiligung am Normungsprozess nicht ausreichend sichergestellt werden könne. Wird die Digitalisierung diese Situation langfristig verbessern?
Normen zu erarbeiten, erfordert Expertise und Zeit. Dank Digitalisierung gibt es virtuelle und damit zeitsparende Normungssitzungen. Viele Unternehmen wenden zwar die Normen an, wissen aber nicht, dass sie selbst auch aktiv in den Normungsgremien mitarbeiten und so zu praxistauglichen Normen beitragen können. Wir intensivieren daher unsere Kontakte etwa zu Handwerkskammern und sprechen verstärkt die „Generation Z“ an – zum Beispiel über Unis und Hochschulen. Die Beteiligung möglichst vieler Interessensvertretungen an der Erstellung von Normen ist grundlegend, damit sie anwendungsfreundlich und akzeptiert sind.
Wie wird sich der Normungsmarkt entwickeln?
Die Normung wird bedeutender – auch wirtschaftspolitisch. Und sie muss immer schneller Ergebnisse liefern. Darunter kann die Qualität leiden und es wird immer schwieriger, sich angemessen zu beteiligen. Wir müssen verhindern, dass der Arbeitsschutz hinten runterfällt oder von Personen mit ganz anderen Zielen festgelegt oder beeinflusst wird. Wir brauchen sowohl in der klassischen Produktnormung als vermehrt auch für Dienstleistungen, Management und innovative Technologien mehr eigene Arbeitsschutzexpertise in Deutschland. Gleichzeitig müssen wir unsere nationalen Regelungsspielräume im Regelwerk von Staat und Unfallversicherungen oder der Sozialpartner erhalten.
Je früher wir uns in der Normung zum Arbeitsschutz positionieren, umso wirkkräftiger sind wir. Die KAN unterstützt beispielsweise beim Thema künstliche Intelligenz das Ringen der Arbeitsschutzkreise um gemeinsame Positionen und transportiert diese in Richtung Normung und europäische KI-Verordnung. Diese Investitionen lohnen sich auch langfristig für die Prävention.
Die Kommission Arbeitsschutz und Normung - eine starke Stimme für den Arbeitsschutz Seit 1994 vertritt die KAN die Interessen des Arbeitsschutzes in der Normung. In der KAN sind die Sozialpartner, der Staat, die gesetzliche Unfallversicherung und das Institut für Arbeitsschutz und Normung vertreten. Die KAN entwickelt gemeinsame Positionen, die sie in die nationale, europäische und internationale Normung einbringt. www.kan.de |
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