Um dem Klimawandel zu begegnen, brauchen wir leistungsfähige Sozialsysteme

Was wird aus dem Green Deal nach der Europawahl? DGUV Kompakt sprach mit Ilka Wölfle, Direktorin der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung in Brüssel.

  • In der Mitte steht in einem Kreis

Frau Wölfle, was ist der Green Deal?

Bei Amtsantritt hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu Leitmotiven in allen Politikbereichen gemacht. Am 11. Dezember 2019 hat sie den European Green Deal als neue ökologische Wachstumsstrategie der Europäischen Union (EU) präsentiert. Der Green Deal versteht sich als ein Paket politischer Initiativen, die auf eine systematische Modernisierung der gesamten Wirtschaft, Gesellschaft und Industrie abzielen. Kernziele sind der effizientere Umgang mit Ressourcen, die Klimaneutralität der EU bis 2050, aber auch der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Im Ergebnis soll es allen EU-Bürgerinnen und Bürgern besser gehen.

Warum betriff der Green Deal auch die deutsche Sozialversicherung?

Dass der Green Deal uns betrifft, liegt in der Natur der Sache. Die Folgen des Klimawandels spüren wir ja schon heute. Im Gesundheitswesen durch exotische Infektionen, in der Notfallversorgung nach extremen Wetterereignissen, am Arbeitsplatz – wo Hitze und UV-Strahlung den Menschen zusetzen. Auf diese Auswirkungen müssen wir uns in der Gesundheitsversorgung, aber auch im Arbeitsschutz einstellen. Es ist erforderlich, dass Arbeitsschutzmaßnahmen überprüft und angepasst werden, um ein sicheres und gesundes Arbeiten zu gewährleisten; auch mit Blick auf neue, „grüne“ Technologien und bislang unbekannte Arbeitsplatzrisiken. Für all dies brauchen wir leistungsfähige Sozialsysteme.

Ilka Wölfle, Direktorin der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung in Brüssel

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Ilka Wölfle, Direktorin der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung in Brüssel
Bild: Jan Röhl / DGUV

Können Sie eine Initiative beispielhaft aufzeigen?

Gerne. Nehmen wir zum Beispiel die EU-Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien, denn die beschäftigt uns sehr. Sie ist ein zentraler Baustein des Green Deals und soll Menschen und Umwelt besser vor schädlichen Chemikalien schützen und Innovationen durch sichere und nachhaltige Chemikalien fördern. Hier gibt es viele Initiativen – nicht alle finden wir gut. So haben wir uns sehr kritisch zur Risikobewertung von Stoffen geäußert. Nicht jede gefährliche Substanz muss verbannt werden, wenn man auf einen sicheren Umgang mit ihr achtet. Und ab und an muss man auch die EU-Politik ein wenig in die Realität zurückholen. Deshalb haben wir bei der Überarbeitung von Expositionswerten gegenüber Asbest immer wieder darauf hingewiesen, dass strengere Grenzwerte technisch in der Praxis umsetzbar sein müssen. Und das geht nicht immer von heute auf morgen.

Könnte der Green Deal mit der Europawahl ins Stocken geraten?

Sollten populistische und antieuropäische Kräfte vermehrt Eingang ins Europäische Parlament finden – und leider ist das nicht ausgeschlossen – könnte dies in der Tat Auswirkungen auf die weitere Umsetzung des Green Deals haben. Aber auch unabhängig davon beobachten wir schon heute, dass die Haltung innerhalb der Kommission eine andere ist. Vergleicht man die Äußerungen von Ursula von der Leyen während der Präsentation des Green Deals 2019 mit ihrer Rede zur Lage der Union im Jahr 2023, fällt auf: Das Narrativ hat sich verändert. Standen 2019 noch die Klimaziele des Green Deals im Vordergrund, propagiert von der Leyen jetzt eine Wirtschaftsagenda, die Innovation und Investition in den Fokus rückt. Für uns gehören Klimapolitik und Sozialpolitik eng zusammen. Deshalb bleibt wichtig, dass unabhängig von der weiteren Entwicklung des Green Deals den sozialen und gesundheitspolitischen Themen in der nächsten europäischen Legislaturperiode ein hoher Stellenwert eingeräumt wird.


Europawahl 2024
Vom 6. bis 9. Juni 2024 wählen rund 373 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger die 720 Abgeordneten des nächsten Europäischen Parlaments. Es ist die einzige europäische Institution, die von den Bürgerinnen und Bürgern der EU direkt gewählt wird. Zusammen mit dem Rat kann es Gesetzesvorschläge annehmen und ändern – auch im Bereich der Sozial- und Gesundheitspolitik. Die Wahlen finden alle fünf Jahre statt.

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Die Deutsche Sozialversicherung Europavertretung (DSV) mit Sitz in Brüssel gestaltet Europa aktiv mit, indem sie die Interessen der deutschen Sozialversicherung in der EU vertritt, europäische Organe zu Fragen des deutschen Sozialrechts berät und die Entwicklung relevanter Rechtsbereiche beobachtet. Sie wird von Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung aus den Bereichen der gesetzlichen Rentenversicherung, Unfallversicherung sowie Kranken- und Pflegeversicherung repräsentiert.

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