Schon Kleinkinder wollen ihre Umgebung entdecken und sind dabei neugierig, erfinderisch, aber oftmals auch unberechenbar. Aus zahlreichen Untersuchungen ist inzwischen bekannt, dass Kinder mit einer vielfältigen Bewegungserfahrung nicht nur gesünder sind, sie haben auch ein geringeres Verletzungsrisiko, finden sich besser zurecht, lernen besser, haben eine höhere Sozial- und Handlungskompetenz und ein besseres Selbstwertgefühl. Natürlich sind Kinder unterschiedlich entwickelt und haben individuelle Stärken und Schwächen. Doch gerade das Wissen um die kognitive, sensorische und motorische Entwicklung von Fähigkeiten bei Kindern in Bezug auf Verhalten im Straßenverkehr fehlt vielen Erwachsenen. Richtiges Verhalten im Straßenverkehr will und muss gelernt sein, egal, ob Kinder zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Alle Sinne und viele Kompetenzen werden gefordert: Sehen, Wahrnehmen, Hören, sich mit anderen verständigen, Beurteilen, Reflektieren, Entscheidungen treffen.
Die kindliche Wahrnehmung ist egozentrisch. Das bedeutet, dass es kleineren Kindern schwerfällt, sich die Sichtweise von anderen vorstellen zu können. Zudem sind sie nur eingeschränkt fähig, getrennte einzelne Wahrnehmungen zu einem komplexen Gesamtbild zu koordinieren. Die Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, ist nur sehr schwach ausgeprägt. Erst mit etwa dem 12. Lebensjahr unterscheidet sich das Abstraktionsvermögen kaum noch von dem der Erwachsenen. Auch das richtige Einschätzen von Geschwindigkeit, Entfernung und Gefahr muss sich erst entwickeln. 3- bis 4-Jährige können durch einfaches Hinsehen ein stehendes Fahrzeug nicht von einem fahrenden unterscheiden. Bis zum Alter von ca. 7 Jahren sieht ein Kind ein großes Auto (LKW) immer näher an der eigenen Person als ein kleineres Auto. Und erst mit 7-8 Jahren können Geräusche eindeutig lokalisiert und bestimmten Gefahrenquellen zugeordnet werden. Mit ca. 9 Jahren ist das Gesichtsfeld immer noch ca. 30% kleiner als das der Erwachsenen (sogenannter Tunnelblick).
Erst im Laufe der Grundschulzeit entwickelt und verfestigt sich bei Kindern (z.B. im Hinblick auf das Zweiradfahren) die Koordination von Blick und Bewegung, die Zuordnung von Geräuschen, die Unterscheidung von unwesentlich und wesentlich, die Erweiterung des Sichtfeldes, die Ausprägung vom räumlichen Vorstellungsvermögen sowie die Fähigkeit zu Mehrfachhandlungen.
Kinder, die ihrem Bewegungs- und Mobilitätsbedürfnis nicht ausreichend nachgehen können, weisen häufig nicht nur Defizite in ihrer körperlichen Entwicklung und in ihrem Bewegungsverhalten auf, sondern auch in ihrer Konzentrationsfähigkeit, in ihrem Sozialverhalten und in ihrem Selbstvertrauen. Kinder brauchen die Freiheit, Fehler machen zu können, diese zu korrigieren und dann aus ihnen zu lernen. Dazu muss eine Umgebung zur Verfügung stehen, in der sie möglichst gefahrlos ihre Erfahrungen für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr machen können und in der Kinder individuell gefördert werden können, ohne überfordert zu sein.
Mit zunehmendem Alter erweitert sich der Aktionsraum. Jugendliche und junge Erwachsene nutzen unterschiedlichste Fortbewegungsmittel - neue Mobilität schafft neue Möglichkeiten. Das birgt aber auch Gefahren. Das Gefühl des Unverwundbarseins und der Selbstüberschätzung überwiegt und lässt - sogar bei realistischer Einschätzung objektiver Gefahren - eine Übertragung auf das eigene Verhalten nicht zu. Die im Jugendalter übliche egozentrische Denkweise in Verbindung mit oft auch nicht ausreichend vorhandenen Kenntnissen im Kontext Sicherheit (Wirkung von Alkohol und Drogen, Reaktionsgeschwindigkeiten und Bremswege, etc.) sowie mangelndem Abstraktionsvermögen können weitere Ursachen für eine unangemessene Wahrnehmung von Gefahren sein.
Die beschriebenen Entwicklungsstufen von Kindern und Jugendlichen bilden die zentrale Grundlage für die Konzepte der Mobilitäts- und Verkehrssicherheitsarbeit, die bei den Unfallversicherungsträgern und im Sachgebiet "Verkehrssicherheit in Bildungseinrichtungen" zum Tragen kommen.