IPA Journal 03/2024

Allergische obstruktive Atemwegserkrankung

Allergien sind weit verbreitet und betreffen ein Viertel der Allgemeinbevölkerung. Dabei reagieren viele Menschen auf mehrere Allergene oder leiden unter Kreuzallergien. Dies erschwert im Einzelfall eine Abgrenzung zwischen beruflichen und außerberuflichen Faktoren. Das gilt auch für die korrekte Diagnosestellung und gezielte Prävention von beruflich bedingten Allergien. Im Folgenden wird aus der Begutachtungspraxis des IPA der Fall eines Metzgers mit Sojaallergie vorgestellt. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit (BK) vorliegen.

Obstruktive Atemwegskrankheiten

Der Begriff „obstruktive Atemwegserkrankungen“ umfasst im deutschen Berufskrankheiten-(BK)-Recht verschiedene akute und chronische Krankheitsbilder, bei denen die Bronchien in der Lunge verengt sind (Obstruktion) und die Luft dadurch nur erschwert ausgeatmet werden kann. Grundsätzlich kann man allergische (BK-Nr. 4301) von irritativ-toxischen (BK-Nr. 4302) Ursachen der obstruktiven Atemwegserkrankungen abgrenzen. Eine Verdachtsdiagnose und damit eine BK-Anzeige wegen des Verdachts auf eine Erkrankung nach BK-Nr. 4301 beziehungsweise nach BK-Nr. 4302 ist immer dann begründet, wenn arbeitsplatzbezogen Symptome wie Atemnot, Husten, Niesen, Schnupfen, Augenbrennen oder eine Kombination dieser Symptome auftreten. Früher mussten Versicherte bei diesen Erkrankungen die schädigende Tätigkeit aufgeben, um Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu erhalten. Dies galt auch, wenn die Krankheit nachweislich durch ihre Arbeit verursacht worden war (Unterlassungszwang, BAuA). Nach der Novellierung des BK-Rechts zum 01.01.2021 fiel dieser Unterlassungszwang weg. Seitdem kann eine BK auch anerkannt werden, obwohl der oder die Versicherte weiterhin in dem Beruf tätig ist.

Fleischer mit allergischen Symptomen

Der 33 Jahre alte Versicherte hatte viel Sport getrieben und nie geraucht. Zwischen 2005 und 2008 machte er eine Fleischerlehre und arbeitete danach bis 2014 als Fleischer in verschiedenen Betrieben. Während dieser Zeit waren keine arbeitsbedingten Beschwerden aufgetreten. Im August 2014 wechselte er als sogenannter Fleischentwickler in einen Betrieb der Lebensmitteltechnologie. Dort entwickelte er Fleischprodukte, vorrangig aber Fleischalternativen wie die „fleischlose Wurst“. Dazu wurden verschiedene Zutaten in sogenannten Kuttern zerkleinert und vermischt. Nachweislich kam es dabei zu komplexen Expositionen, insbesondere gegen Enzyme, Soja und Gewürze. Arbeitsschutzmaßnahmen, wie Absaugvorrichtungen, waren nicht vorhanden. Ab etwa 2015 traten bei dem Versicherten zunächst Kontakturtikaria, wenig später Asthma, Rhinitis und Konjunktivitis auf. Die Symptomatik verschlimmerte sich und bestand ganzjährig und im Wesentlichen bei der Arbeit. Im Urlaub besserten sich die Beschwerden deutlich. Der Versicherte berichtete über Symptome insbesondere beim Umgang mit Soja, Phosphaten und Hydrokolloiden. Letztere sind Stoffe wie zum Beispiel Gummi arabicum, die die Viskosität von Lösungen erhöhen. Allerdings konnte er die Beschwerden nicht konkret einer Einzelsubstanz zuordnen. Er stellte sich 2019 erstmals bei einem Arzt vor. Durch die verordneten Medikamente und den Arbeitsplatzwechsel zu einem Handelshaus für Lebensmittelzusatzstoffe im September 2019 verbesserten sich seine Symptome. Hier führte er überwiegend Anwendungsberatungen durch und hatte nur sehr selten Kontakt zu den oben genannten Substanzen. Wenn doch, trug er ein fremdbelüftetes Atemschutzgerät.

Frühere medizinische Befunde

Im Juli 2019 wurde eine Anzeige auf Verdacht auf eine BK im Sinne einer obstruktiven Atemwegserkrankung (BK-Nr. 4301/4302) erstattet. In dem entsprechenden Bericht wurde die Diagnose Asthma bronchiale bei Sensibilisierung gegenüber multiplen inhalativen Allergenen gestellt. Es wurden Beschwerdefreiheit im Urlaub beziehungsweise eine arbeitsbezogene Symptomatik angegeben.

In einem im Dezember 2020 erstellten Gutachten wurden eine bronchiale Hyperreagibilität bei ansonsten normaler Lungenfunktion sowie Sensibilisierungen gegenüber Umwelt- und Berufsallergenen beschrieben. Konkret zeigten sich im Pricktest positive Reaktionen auf früh- und mittelblühende Baumpollen, Gräser- und Getreidepollen sowie Kräuter- und Beifußpollen. Spezifische IgE-Antikörper (sIgE) fanden sich bei der Analyse mittels ImmunoCAP-System gegen Sojabohne sowie gegen die Enzyme Papain und Bromelain (jeweils CAP-Klasse 3). Ein spezifischer Provokationstest wurde seinerzeit nicht durchgeführt. Der begutachtende Arzt empfahl zwar die Tätigkeitsaufgabe, kam aber zu dem Ergebnis, dass eine BK nicht vorliegt, da es sich nicht um eine obstruktive Atemwegskrankheit handelt. Außerdem bestünden Sensibilisierungen gegen diverse Pollenallergene. Daraufhin lehnte der zuständige Unfallversicherungsträger die Anerkennung einer BK ab.

Der Widerspruch des Versicherten wurde nach einer beratenden Stellungnahme, die das oben genannte Gutachten unterstützte, zurückgewiesen.

Ein weiteres, im Auftrag des Sozialgerichts erstelltes Gutachten im Dezember 2021 kam zu dem Schluss, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht zweifelsfrei bestehe. Auch hier war die bronchiale Hyperreagibilität des Versicherten bestätigt worden.

Begutachtung im IPA

Der 33-jährige Versicherte gab an, dass er zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit als Fleischentwickler unter asthmatischen, rhinokonjunktivitischen und kontakturtikariellen Beschwerden gelitten hatte. Durch seine antiobstruktive Medikation (Relvar 184/22 (1x tgl.), Spiriva (2–3x Woche), Salbutamol (2x tgl. an 3–4 Tagen)) und den Tätigkeitswechsel zu einer anderen Firma gehe es ihm deutlich besser. Er leide aber nach wie vor unter Kurzatmigkeit beim Sport. Vor der Untersuchung war die Medikation leitliniengerecht pausiert worden.

Tab. 1 Ergebnisse des Hautprick- und IgE-Tests (ImmunoCAP) zum Zeitpunkt der Untersuchung im IPA

Haut-Pricktest, Ø Quaddel/Erythem [mm]
Histamin (Positivkontrolle) 5/25
Bäume 9/22
Wiesenlieschgras 5/1
Warzenbirke 8/12
Sojaproteinisolat 1% 12/12
Gesamt IgE [kU/L] 243,66
Spezifisches IgE (sIgE), [kU/L] (CAP-Klasse)
Gräser/Frühblüher (gx1) 1,77 (CAP-Kl. 2)
Bäumemischung (tx1) 9,41 (CAP-Kl. 3)
Birke (t3) 14,89 (CAP-Kl. 3)
Sojabohne (f14) 1,19 (CAP-Kl. 2)
Gummi arabicum (f297) 0,65 (CAP-Kl. 1)
Bromelain (k202) 1,14 (CAP-Kl. 2)
Papain (k201) 0,80 (CAP-Kl. 2)

Die Basis-Lungenfunktion mittels Spirometrie und Bodyplethysmographie war unauffällig. Am Tag vor dem spezifischen inhalativen Provokationstest sowie am Tag danach wurde der Einkonzentrations-Vierstufen-Methacholintest durchgeführt. Dabei betrugen die in vier Stufen zu inhalierenden kumulativen Dosen 15 μg, 60 μg, 240 μg und 960 μg Methacholin. Sowohl vor als auch nach dem spezifischen Provokationstest war eine bronchiale Hyperreagibilität spirometrisch mit einem Abfall der Einsekundenkapazität (FEV1) von mehr als 20 % nachweisbar. Zu einer Zunahme der bronchialen Empfindlichkeit am Folgetag kam es allerdings nicht. Die Methacholin-Dosis, die eine mindestens 20 %ige Reduktion der FEV1 hervorgerufen hatte (PD20), betrug am Tag vor dem spezifischen Provokationstest 53 μg (FEV1-Abfall 21 %) und am Folgetag 221 μg (FEV1-Abfall 22 %).

Die bei früheren Untersuchungen beschriebenen Sensibilisierungen konnten im Prick- beziehungsweise sIgE-Test (ImmunoCAP) weitgehend reproduziert werden (→ Tab. 1). Mit dem Sojaproteinisolat vom Arbeitsplatz des Beschäftigten wurde im IPA eine 1 %ige Hautpricktest-Lösung hergestellt. Sie führte bei dem Versicherten zu einer sehr deutlichen Hauttestreaktion mit einem Quaddel-Durchmesser von 12 mm.

Im Gespräch mit dem Versicherten zeigte sich, dass seine Beschwerden am Arbeitsplatz stärker beim Umgang mit Sojaprotein als mit Enzymen oder Gummi arabicum auftraten. Zusätzlich hatte das Sojaproteinisolat die deutlichste Hautpricktestreaktion ausgelöst, weshalb dieses Tab. 1 Ergebnisse des Hautprick- und IgE-Tests (ImmunoCAP) zum Zeitpunkt

Allergen für die Durchführung der spezifischen inhalativen Provokationstestung in vier ansteigenden Konzentrationen ausgewählt wurde. Es zeigte sich ein geringer Anstieg des spezifischen Atemwegswiderstands und ein signifikanter FEV1-Abfall um 22 % (→ Abb. 1). Der Versicherte gab ab der 2. Dosisstufe ein leichtes Druckgefühl, erschwertes Atmen sowie Kratzen im Hals und Hustenreiz an. Ab der 4. Dosisstufe waren leicht giemende Atemgeräusche hörbar. Das fraktionierte exhalierte Stickstoffmonoxid (FeNO) stieg von 18 auf 26 ppb am Folgetag leicht an. Die Testung wurde als positive Sofortreaktion gewertet.

Diskussion

Im vorliegenden Fall konnte eine Sensibilisierung gegen das für einen Metzger atypische Berufsallergen Soja zweifelsfrei nachgewiesen werden, was die arbeitsbezogene Symptomatik ausreichend erklärt. Zwar existiert eine Kreuzreaktivität zwischen Birkenpollen und Soja, da das Stressprotein Gly m 4 aus Soja in seiner Struktur dem Birkenpollenallergen Bet v 1 sehr ähnelt (Beneder et al. 2013). Dies ist im Rahmen einer Begutachtung jedoch nicht von Bedeutung. Nach der Reichenhaller Empfehlung für die Begutachtung der BK-Nr. 4301 und BK-Nr. 4302 ist die Feststellung der Folgen einer BK unabhängig davon, ob es sich um eine primär beruflich erworbene Sensibilisierung oder eine Kreuzreaktivität handelt, wenn die berufliche Exposition den Krankheitsverlauf wesentlich beeinflusst hat (Reichenhaller Empfehlung 2012). Darüber hinaus hatte die Anamnese durch die typische Arbeitskongruenz der ganzjährigen (nicht saisonalen) Beschwerden mit Besserung in expositionsfreien Zeiten und nach Arbeitsplatzwechsel einen klaren Arbeitsplatzbezug der Beschwerden aufgezeigt.

Durch den positiven inhalativen Provokationstest mit Sojaprotein konnte eine obstruktive Atemwegserkrankung des Versicherten zweifelsfrei belegt werden. Darüber hinaus ist es jedoch wichtig zu betonen, dass die bestehende symptomatische bronchiale Hyperreagibilität auch das Kriterium einer obstruktiven Atemwegserkrankung erfüllt (Reichenhaller Empfehlung 2012). Diese war bereits bei den Begutachtungen 2020 und 2021 festgestellt worden. Umso schwerer verständlich wird dadurch die Einschätzung der bisherigen Gutachter, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht bestand. Unseres Erachtens liegt bei dem Versicherten eine BK-Nr. 4301 vor. Die Tätigkeit in der ersten Firma, bei der eine entsprechende Exposition nachweislich stattfand, wurde im September 2019 aufgegeben. Da jedoch anzunehmen ist, dass auch bei der aktuellen Tätigkeit noch eine geringe Exposition besteht, ist unseres Erachtens der Versicherungsfall auf den 01.01.2021 (Wegfall des Unterlassungszwanges) zu datieren. Ein Urteil des Sozialgerichts lag zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung noch nicht vor.

Dieser arbeitsmedizinische Fall wurde im Rahmen der Session „Kontroverse Gutachtenfälle“ beim 64. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) als Vortrag „Fleischlose Wurst – ein arbeitsmedizinisches Problem?“ präsentiert und in diesem Zusammenhang in ähnlicher Form in der Österreichischen Zeitschrift JATROS Pneumologie & HNO (van Kampen und Merget 2024) veröffentlicht.

 

Info

  • Durch Veränderungen von Arbeitsprozessen oder die Einführung neuer Technologien und Arbeitsstoffe können auch „neue“ oder für den Beruf „atypische“ Allergene relevant werden.
  • Eine BK-Nr. 4301 kann auch anerkannt werden, wenn es sich um Kreuzreaktionen handelt und der Krankheitsverlauf durch berufliche Einwirkungen wesentlich modifiziert wird.
  • Eine symptomatische bronchiale Hyperreagibilität erfüllt die Definition einer obstruktiven Atemwegserkrankung.

Autoren/Autorinnen

Dr. Christian Eisenhawer
Prof. Dr. Rolf Merget
Prof. Dr. Monika Raulf
Dr. Ingrid Sander
Dr. Vera van Kampen
IPA

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Literatur

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Wegfall des Unterlassungszwangs. Hinweise zu den Berufskrankheiten Nr. 1315, 2101, 2104, 2108 bis 2110, 4301, 4302, 5101. https://www.baua.de/DE/Themen/Praevention/Koerperliche-Gesundheit/Berufskrankheiten/Dokumente.html?pos=4

Berneder M, Bublin M, Hoffmann-Sommergruber K, Hawranek T, Lang R: Allergen chip diagnosis for soy-allergic patients: Gly m 4 as a marker for severe food-allergic reactions to soy. Int Arch Allergy Immunol 2013; 161: 229-233.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. Reichenhaller Empfehlung. Begutachtungsempfehlungen für die Berufskrankheiten der Nrn. 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur BKV. November 2012

van Kampen V, Merget R. Fleischlose Wurst – ein arbeitsmedizinisches Problem? JATROS Pneumologie & HNO 2024; 22: 13-15.