Das IPA ist Kooperationspartner der Forschungsplattform DigiHero, der mit bislang über 90.000 Teilnehmenden größten digitalen Gesundheitsstudienplattform in Deutschland, an der verschiedene universitäre Forschungsgruppen und Institute bundesweit beteiligt sind. Mit seiner arbeitsmedizinischen und arbeitsepidemiologischen Expertise erweitert das IPA DigiHero um arbeitsmedizinische Fragestellungen. Untersucht werden unter anderem psychische Belastungen nach der Pandemie, Schmerzen im Muskel-Skelettsystem und Belastungen durch Hitze am Arbeitsplatz infolge des Klimawandels. Die Forschung mit bevölkerungsbasierten Kohorten ergänzt die am IPA etablierten Studien mit Berufskollektiven. So kann ein wichtiger Beitrag zur Prävention beruflich bedingter Erkrankungen geleistet werden.
DigiHero ist eine deutschlandweite, bevölkerungsbasierte Online-Studie zur digitalen Gesundheitsforschung. Forschungsdaten in DigiHero werden dabei in Form von Online-Befragungen erhoben. Schwerpunkte sind: Gesundheitsverhalten, Entstehung chronischer Krankheiten, gesundes Altern sowie körperliches und seelisches Befinden.
DigiHero wurde Anfang 2021 von neun Kliniken und Instituten der Universitätsmedizin Halle unter der Leitung von Prof. Rafael Mikolajczyk initiiert. Die Studie startete mit ungefähr 8.000 Teilnehmenden. Dafür wurden Personen aus zunächst rund 130.000 Haushalten in Halle (Saale) angeschrieben. Später wurde die Rekrutierung auf Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen ausgeweitet. Nach und nach wurde DigiHero durch zufällig ausgewählte Landkreise und Regionen aus weiteren Bundesländern ergänzt. Die letzte große Rekrutierungswelle fand im Herbst 2024 in Nordrhein-Westfalen statt. Hier wurden Personen aus 600.000 Haushalten angeschrieben. Parallel finden aktuell weitere Rekrutierungen in Hessen und Baden-Württemberg statt. Bis Oktober 2024 wurden bundesweit bereits fast drei Millionen Menschen zur Teilnahme an DigiHero eingeladen. Rund 90.000 Personen haben sich dabei bislang für die Teilnahme registriert. Auch wenn man nicht direkt angeschrieben wurde, ist eine Registrierung und Teilnahme jederzeit möglich (s. Info 1).
Nach ihrer Registrierung erhalten die Teilnehmenden drei- bis viermal pro Jahr Einladungen per E-Mail zu aktuellen Befragungen. Die Umfragen können einfach per Tablet, Computer oder Smartphone beantwortet werden. So erhält DigiHero sehr schnell Antworten und kann zu aktuellen Themen informieren.
Die DigiHero-Studie wurde in der Corona-Pandemie initiiert. Deshalb konzentrierten sich die ersten thematischen Module auf Themen rund um die Pandemie. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Erhebung von psychischen Belastungen durch pandemiebedingte Einschränkungen des Alltags und der Untersuchung der Langzeitfolgen einer Corona-Virusinfektion (Diexer et al. 2023). Auch wurde ein Long-COVID-Register auf Basis von DigiHero ins Leben gerufen (www.medizin.uni-halle.de/long-covid-register). Hier werden Long-COVID-Symptome, deren Verlauf, Schweregrad und Linderung durch individuelle Therapien der Betroffenen erfasst.
DigiHero beschäftigt sich zudem mit Themen des mentalen Wohlbefindens. So wurde der digitale Forschungsansatz von DigiHero beispielsweise genutzt, um Veränderungen der psychischen Gesundheit in Folge des Ukraine-Krieges zu untersuchen. Bereits am achten Tag nach Kriegsbeginn im März 2022 startete dazu eine Umfrage zu Ängsten und Sorgen im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch in Deutschland. Die Analysen zeigten, dass die Angst vor dem Krieg deutlich stärker war als zur Zeit der stärksten Pandemiebeschränkungen (Gottschick et al. 2023).
Das Berufsleben der Teilnehmenden und die daraus resultierenden Belastungen wurden zu Beginn in DigiHero kaum erfasst. Als Kooperationspartner bringt das IPA seine arbeitsmedizinische und arbeitsepidemiologische Expertise in DigiHero ein und erforscht aktuelle Gesundheitsthemen mit beruflichem Bezug.
Die Besonderheit der arbeitsmedizinischen Forschung mit bevölkerungsbasierten Kohorten ist, dass im Gegensatz zu spezifischen Berufskollektiven sich diese nicht auf bestimmte Berufsgruppen, Branchen, Arbeitsumgebungen oder Arbeitszeitmodelle beschränken. Somit besteht die Möglichkeit, Beschäftigte mit atypischen Arbeitsverhältnissen wie Zeit-, Leih- oder Werkverträge zu befragen. Die Auswirkungen verschiedener Berufe und Industrien auf die Gesundheit können verglichen werden. Bevölkerungsbasierte Kohorten stellen somit ein wertvolles Instrument in der arbeitsmedizinischen Forschung dar, um fundierte Erkenntnisse über die Auswirkungen von Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit zu gewinnen. Daraus ergeben sich Ansatzpunkte für eine gezielte Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger, die direkt in ihre primärpräventive Beratung einfließen. So könnten arbeitsbedingte Gesundheitsrisiken reduziert und die allgemeine Gesundheit der Arbeitnehmenden gefördert werden.
Im ersten berufsbezogenen Teilprojekt wird in DigiHero untersucht, welche psychischen Beanspruchungen in verschiedenen Berufsgruppen nach der COVID-19-Pandemie bestehen. Dabei wird auch überprüft, inwieweit sich die während der Pandemie in der Befragung des IPA identifizierten vulnerablen Gruppen bestätigen lassen (Casjens et al. 2022, 2024). Zu solchen zählten zum Beispiel Beschäftigte mit hohen Work-Privacy-Konflikten, übermäßigem Engagement bei der Arbeit oder mit mangelnder Interaktion mit Kolleginnen und Kollegen.
Ferner soll der Einfluss von Büroarbeit auf die psychische und physische Gesundheit der Beschäftigten unter Berücksichtigung der Arbeitsplatzsituation bei der Arbeit von zu Hause untersucht werden. Dazu entwickelte das IPA ein berufsbezogenes Fragebogenmodul, in dem zum einen die berufliche Exposition in Form von Berufstätigkeit, Arbeitszeit und Mehrarbeit, Homeoffice und Schichtarbeit und zum anderen die berufliche Beanspruchung erfasst wurden.
Die Erfassung der beruflichen Tätigkeit stellt dabei eine große Herausforderung dar. Der klassische Ansatz, Arbeitsbiografien manuell zu erfassen und zu codieren, um standardisierte Berufsdaten zu nutzen, ist zeit- und kostenintensiv und in großen bevölkerungsbasierten Studien kaum umsetzbar. Das IPA hat dafür eine webbasierte Möglichkeit in DigiHero eingeführt.
Die erste Befragung zu Arbeit und Beruf fand im November 2023 mit 81.000 Teilnehmenden statt. Von den 26.167 Erwerbstätigen, die an der Befragung teilnahmen, codierten 87% ihre aktuelle Berufstätigkeit selbst. Ein Abgleich mit der Experten-Codierung des IPA ergab, dass die Selbstcodierung von Arbeitsdaten ähnlich zuverlässig wie in der UK Biobank, einer großen, langfristigen Gesundheitsstudie aus Großbritannien, möglich ist (De Matteis et al. 2017). Bei dieser Befragung zeigte sich, dass nach der Pandemie die Arbeitsanforderungen das Privat- und Familienleben seltener oder weniger stark beeinträchtigten als Anfang 2022. Auch ging der Anteil der Personen, die sich am Arbeitsplatz einsam fühlten, von 19% auf 8% zurück. Depressions- und Angstsymptome unterschieden sich hingegen kaum zwischen den beiden Befragungszeitpunkten.
Im Fokus einer weiteren Umfrage stehen die Auswirkungen von Hitze auf verschiedene Arbeitsplätze. Dazu konzipierte das IPA in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen des Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) und der Universität Bremen einen eigenen Fragebogen. Mit ihm will das Team den Kenntnisstand der Bevölkerung zum Thema Hitze und ihre Strategien im Umgang mit Hitzewellen evaluieren.
Hintergrund ist, dass der Klimawandel zu einer Zunahme von Hitzeereignissen mit direkten und indirekten Auswirkungen auf die Gesundheit führt. Beschäftigte, die im Freien arbeiten, und Beschäftigte mit körperlich anstrengenden Tätigkeiten sind von Hitzebelastungen besonders betroffen. Aber auch Beschäftigte an Innenraumarbeitsplätzen in unzureichend isolierten Gebäuden oder ohne Kühlungs- oder Lüftungssystem können belastet sein.
Gefragt wurde nach persönlichen und betrieblichen Maßnahmen zum Schutz vor Hitzebelastungen. Außerdem sollten die Beschäftigten angeben, wie sie die Wirksamkeit dieser Maßnahmen am Arbeitsplatz wahrnehmen. Die Daten sollen Aufschluss darüber geben, welchen Einfluss die berufliche Hitzebelastung und der empfundene Schutz am Arbeitsplatz auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten haben. Damit könnten wichtige Einflussfaktoren auf die psychische Beanspruchung identifiziert und gezielte Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden.
Neben weiteren zukünftigen Online-Umfragen etwa zur Gesundheitsversorgung vor Ort und Teilnahmen an Impfungen, Vorsorge-Untersuchungen beim Hausarzt oder beim Betriebsarzt sind auch medizinische Untersuchungen, beispielsweise in lokalen Gesundheitseinrichtungen, geplant.
Prof. Dr. Thomas Behrens
Dr. Swaantje Casjens
IPA
Dr. Anja Broda
Prof. Dr. Rafael Mikolajczyk
Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik Universitätsmedizin Halle
Falls auch Sie einen Beitrag zur Erforschung der Gesundheit leisten möchten, besuchen Sie die Webseite der DigiHero-Studie oder scannen den QR-Code. DigiHero lebt von der Freiwilligkeit, dem Idealismus und der Bereitschaft in der Bevölkerung, an der Studie teilzunehmen.
Die erforderlichen datenschutzrechtlichen Anforderungen wurden durch die für die Universitätsmedizin Halle und das IPA zuständigen Datenschutzbeauftragten geprüft.
Für die Studie liegt ein positives Votum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Nr. 2020-076; DRKS-Registrierungs-ID: DRKS00025600) sowie ein Votum von der Ethikkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe (Nr. 2023-605-b-S) als nachberatende Ethikkommission vor.
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