"Gewalt im Krankenhaus sollte absolut tabu sein"
Viele Beschäftigte im Gesundheitswesen sind von Gewalt betroffen. Auch Prof. Dr. Thomas Gösling Chefartzt am Klinikum in Braunschweig wurde angegriffen. Im Interview spricht er über den Vorfall, Präventionsmaßnahmen und seine Forderungen an die Politik.
Herr Prof. Dr. Gösling, Sie hatten letztes Jahr ein brutales Gewalterlebnis in der Klinik. Sie wurden von einem Angehörigen ins Koma geprügelt. Der Angehörige wurde aggressiv, weil es zu einer Verzögerung kam und er nicht mehr warten wollte. Hat Sie dieser Vorfall verändert?
Ja, schon. Der Vorfall war schon dramatisch. Ich war bereits bewusstlos und der Mann schlug weiter auf meinen Kopf ein. Erst ein Mitarbeiter konnte ihn stoppen, bevor die Polizei eintraf. Ich bin dann im CT aufgewacht mit schwerer Gehirnerschütterung und Risswunden im Gesicht. Zum Glück habe ich keine nennenswerten bleibenden Schäden davongetragen. Doch das hätte sehr leicht auch anders ausgehen können. Auch psychisch habe ich das Ereignis gut verarbeitet. Ich bin ein "Stehauf-Typ". Und vielleicht war es auch gut, dass ich nichts mehr mitbekommen habe. Doch ich denke schon, dass dieses Ereignis einen anderen Menschen auch hätte zerbrechen können. Es ist schon erschreckend, wie aggressiv dieser Täter war und nicht zu beschwichtigen. Sicherlich bin ich heute vorsichtiger und würde nicht mehr allein versuchen, solch aufgebrachte Menschen zu beruhigen.
Gibt es aus Ihrer Sicht eine Zunahme von Gewalt in den Klinken?
Es gibt auf jeden Fall mehr Konflikte und auch Gewaltvorfälle nehmen zu. Insbesondere in den Notaufnahmen ist das Konfliktpotential groß. Ungeduldige gestresste Patienten in Ausnahmesituationen treffen auf stark belastetes Personal. Da prallen oft falsche Erwartungshaltungen und die Realität aufeinander. Und die Wirklichkeit sieht so aus, dass die Notaufnahmen häufig überfüllt sind und es zu langen Wartezeiten, Missverständnissen, Frust kommen kann. Einigen Menschen ist nicht klar, dass lebensbedrohliche und schwere Notfälle selbstverständlich immer zuerst behandelt werden. Oder Patienten kommen aus Unwissenheit mit gesundheitlichen Problemen, die absolut kein Notfall sind und mit denen sie normalerweise zum Arzt oder zur Ärztin gehen würden. Außerhalb der Sprechstunden kann man in diesen Fällen z.B. ärztliche Bereitschaftsdienste vor Ort oder die bundesweitePatientenservice-Telefonnummer 116 117 in Anspruch nehmen. Und dann gibt es noch einige Bürger und Bürgerinnen, die tatsächlich aus Bequemlichkeit in die Notaufnahme kommen, statt sich einen Arzttermin zu machen. Und das ist wirklich inakzeptabel.
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Ungeduldige gestresste Patienten in Ausnahmesituationen treffen auf stark belastetes Personal. Da prallen oft falsche Erwartungshaltungen und die Realität aufeinander.
Gibt es an Ihrer Klinik ein Gewaltpräventionskonzept?
Ja. Wir haben ein Deeskalationsmanagementteam im Klinikum und es gibt Präventionsmaßnahmen wie Trainings, die für alle Mitarbeitenden bei Interesse zugänglich sind. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden dazu sind sehr gut – dank praxisnaher Tipps zur Gewaltvorbeugung und wertvoller Handlungshinweise für den Ernstfall. Zurzeit sind wirauch mit der Polizei im Gespräch über weitere technische Maßnahmen für mehr Sicherheit.
Fühlen Sie sich als Chefarzt auch persönlich dafür verantwortlich, ein sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen?
Das ist ein wichtiges Anliegen. Gewalt im Krankenhaus sollte absolut tabu sein und bei uns gibt es "Null Toleranz bei Gewalt". Deshalb unterstütze ich auch die Kampagne #GewaltAngehen und versuche damit, mich für Gewaltfreiheit und ein respektvolles Miteinander einzusetzen und dazu aufzurufen jeden Gewaltvorfall zu melden bzw. anzuzeigen.
Was sollte die Politik tun, um Ihren Arbeitsalltag sicherer zu machen?
Die Kliniken sind überlastet, personell unterbesetzt und unterfinanziert. Das führtzwangsläufig zu mehr Konflikten und diese Situation muss dringend grundsätzlich verbessertwerden. Sonst verschärft sich das Problem noch weiter. Und dann werden noch mehr Menschen ihren Beruf wechseln oder junge Leute erst gar keine Ausbildung im medizinischen oder pflegerischen Bereich mehr anstreben. Außerdem wünsche ich mir, dass die Politik im Hinblick auf die alarmierende Steigerung der Gewalttaten auch in Form von Zuschüssen unterstützt. Bisher müssen Kliniken jedoch die kompletten Kosten für Antigewaltmaßnahmen selbst tragen.
Was kann jede und jeder Einzelne gegen Gewalt tun?
In der Klinik muss gelten, was überall richtig ist. Also ein respektvoller Umgang miteinander. Jeder Mensch sollte auf andere Menschen achten und sich kümmern. Wer merkt, dass sich ein Konflikt hochschaukelt, sollte – falls möglich – unter Wahrung des Eigenschutzeseingreifen und Hilfe holen.
GUT ZU WISSEN
#GewaltAngehen ist eine Kampagne der Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und ihres Spitzenverbandes, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Sie widmet sich dem Thema Gewalt bei der Arbeit und in der Bildung. Ziel ist es, aufzuklären, dass allen Beschäftigten Gewalt widerfahren kann. Zudem sollen Lösungen aufgezeigt werden, was Arbeitgebende und -nehmende gegen Gewalt tun können. Seit Ende Juli liegt der Schwerpunkt auf dem Gesundheitswesen.
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