Die nächste große Herausforderung für die gesetzliche Unfallversicherung wird wiederum von einem bedeutenden politischen Einschnitt markiert: der deutschen Einigung. Alle Unfallversicherungsträger beteiligen sich in vielfacher Form am "Aufbau Ost“. Sie schaffen neue Strukturen, stellen Mitarbeiter ein, planen weitere Kliniken. Zwar wird nicht - wie 1992 von der Föderalismuskommission gewünscht - die Hauptverwaltung einer Berufsgenossenschaft in die neuen Bundesländer verlagert, dafür entsteht am Standort Dresden die neue Akademie für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Ihre Aufgabe ist es, der immer wichtiger werdenden Qualifizierung von Mitarbeitern und externen Fachkräften ein Forum zu bieten. Gleichzeitig wird es nötig, zusätzlich zu den bereits bestehenden Forschungsstätten neue Kapazitäten zu schaffen. Denn das industrielle Erbe der DDR, wie der Uranbergbau Wismut, verlangt nach angemessenen Lösungen für die ehemals dort Beschäftigten.
Hinzu kommen weitere neue Aufgaben: Mit dem 1996 abgeschlossenen Siebten Sozialgesetzbuch (SGB VII) und dem Arbeitsschutzgesetz wird der Präventionsauftrag der Unfallversicherung noch einmal erweitert. Er umfasst jetzt zusätzlich zu der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auch die Abwehr arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren - wie Rückenleiden oder psychische Belastungen. Um auch auf diesem neuen Arbeitsfeld effektiv zu sein, sucht die Unfallversicherung eine engere Kooperation mit den Krankenkassen. Darüber hinaus bestätigt das SGB VII die bewährten Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung.
Neueste Entwicklungen
Im Kern lässt sich das auch noch für das politisch heiß umkämpfte Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz (UVMG) sagen, das 2008 in Kraft tritt. Trotzdem bringt das UVMG einschneidende Veränderungen: Das System des Lastenausgleichs wird dem wirtschaftlichen Strukturwandel angepasst, die Zusammenarbeit der Unfallversicherungsträger und des staatlichen Arbeitsschutzes wird in der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) weiter entwickelt. Große Anforderungen an alle Unfallversicherungsträger stellt auch der politische Auftrag zu fusionieren. In der Geschichte der Unfallversicherung gab es schon früher Fusionen, um das System dem Strukturwandel in der Wirtschaft anzupassen. Auch die Fusion der beiden Spitzenverbände von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zur Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) beschloss die Selbstverwaltung aus eigener Initiative. Politik und Selbstverwaltung einigten sich schließlich darauf, dass von den 2004 existierenden 35 gewerblichen Berufsgenossenschaften 2010 nur noch neun übrig bleiben sollen. Im Bereich der öffentlichen Hand ist das Ziel: möglichst nur noch eine Unfallkasse pro Bundesland und eine auf Bundesebene. Größtes Anliegen der Unfallversicherungsträger ist es dabei, ihre erfolgreiche branchenspezifische Präventionsarbeit fortführen zu können.
Nach 125-jährigem Bestehen ist die Unfallversicherung zu Beginn des neuen Jahrtausends mitten in einem Prozess der Veränderung und Restrukturierung. Wie immer in ihrer Geschichte ist sie damit auch ein Spiegel der Umbrüche und des Wandels der Arbeitswelt, in der und für die sie tätig ist. Am Kern ihres Auftrags jedoch hat sich seit ihrer Einführung kaum etwas verändert.