Kombinationsbelastungen durch Ganzkörper-Vibrationen und ungünstige Körperhaltungen bei der Bedienung von Van Carriern

Projekt-Nr. IFA 4237

Status:

abgeschlossen 12/2022

Zielsetzung:

Berufsfahrerinnen und Berufsfahrer sind bei ihren Tätigkeiten einer ganzen Reihe von Belastungen ausgesetzt. Darunter fallen physikalische Einwirkungen, wie Ganzkörper-Vibrationen, Lärm und ungünstige Körperhaltungen sowie psychosoziale Belastungen. Diese multifaktoriellen Belastungen können Muskel-Skelett-Beschwerden bis hin zu einer chronischen, irreversiblen Beeinträchtigung hervorrufen. Deshalb sind Untersuchungen dieser Kombinationsbelastungen für die Prävention in diesem Bereich sehr wichtig.

Während die Einwirkung der einzelnen Belastungen wie Ganzkörper-Vibrationen, Lärm und Körperhaltungen immer wieder untersucht wurde, sind die Erkenntnisse über die Kombination dieser Belastungen sehr lückenhaft.

Die Einwirkungen der Körperhaltungen und Ganzkörper-Vibrationen mehrerer Fahrzeuge wurden im Rahmen einiger Projekte gemessen und untersucht (IFA 4157, FF-FP0306). Hierbei ist erstmalig der Einfluss der Kombinationsbelastungen solcher Fahrtätigkeiten exemplarisch für einige Fahrzeuge dargestellt (IFA Report 2/2018). In Hafenbetrieben sind z. B. neben Flurförderzeugen und Kranen auch Van Carrier (VC, auch als Portalstapelwagen bekannt) ein großer Bestandteil des Transportwesens, welcher noch nicht genau untersucht wurde. Mit dem Van-Carrier werden genormte Container zwischen Containerbrücke und Stellplatz bzw. LKW oder Bahn transportiert. Dabei werden die Container im Inneren des etwa 11 m hohen Fahrgestells angehoben und transportiert, nachdem der "Spreader" (Greifer) mit allen vier Eckbeschlägen des Containers verriegelt ist. Die Fahrkabine ist immer auf einer Seite des VC konstruiert. Damit ist das Fahren mit einseitiger Verdrehung des Oberkörpers oder Rückwärtsfahren bei verdrehter oder vorgeneigter Körperhaltung eine häufig vorkommende Zwangshaltung. Häufig werden auch Muskel-Skelett-Beschwerden im Bereich des Nackens und Rückens gemeldet. Um diese ungünstigen Körperhaltungen zu minimieren, gibt es mehrere technische Möglichkeiten, wie Einsetzen von Kameras, Spreader-Aufsetz-Automatik (automatisches Andocken des Containers) oder der Einsatz von verdrehbaren Sitzen. Ob diese Präventivmaßnahmen eingesetzt werden und inwieweit sie eine Auswirkung auf das Wohlbefinden der Fahrenden haben können, war uns bisher unbekannt.

Ziel dieses Projektes war es zu untersuchen, wie hoch die Ganzkörpervibrationsexpositionen und die Belastungen, hervorgerufen durch ungünstige Körperhaltung beim Fahren eines VC, sind und welche Maßnahmen in den Betrieben eingesetzt wurden, um diese Belastungen zu reduzieren. Daraufhin sollte die Wirkung dieser Präventionsmaßnahmen durch Fragebögen über das persönliche Empfinden der Fahrenden und ihr gesundheitliches Befinden im muskuloskelettalen Bereich analysiert werden.

Aktivitäten/Methoden:

Die Erfassung der Körperhaltungen wurde durch das auf Sensoren basierende Messsystem Xsens durchgeführt, welches auf der Arbeitskleidung getragen werden konnte. Anschließend wurden die gemessenen Körperwinkel durch die vom IFA entwickelte Analyse Software "Widaan" analysiert und ausgewertet. Die Messung und Analyse der Ganzkörper-Vibration erfolgte durch eine im IFA entwickelte Sensorik entlang der drei orthogonalen Achsen auf der Sitzfläche und am Sitzmontagepunkt. Hiermit können die Sitze überprüft werden, inwieweit sie die auf den Menschen wirkenden Beschleunigungen reduzieren oder verstärken.

Zusätzlich erfolgte eine Videoaufzeichnung, die wie alle Daten anonym für die Auswertung der Tätigkeiten genutzt wurde.

Zur Erfassung der gesundheitlichen Beschwerden und des Empfindens des Fahrpersonals bezüglich der Expositionen wurde ein vereinfachter Fragebogen aus Nordic Questionnaire und Borg Skala eingesetzt.

Ergebnisse:

Insgesamt wurden 53 VC-Bedienende bezüglich ihrer physikalischen Belastungen durch Vibrationsexpositionen und ungünstigen Körperhaltungen in drei Hafenbetrieben untersucht. 21 VC-Fahrer und 2 VC-Fahrerinnen wurden bei ihren Routinetätigkeiten messtechnisch begleitet. Zusätzlich wurden 30 freiwillige VC- Fahrer zu den Expositionen und Muskel-Skelett Beschwerden befragt.

Die Vibrationsbelastungen im Betrieb eines VC waren in allen drei Betrieben vergleichbar (awz=0,26 ms-2 bis 0,30 ms-2 auf der Sitzfläche in vertikaler Richtung). Auf Grund der niedrigen Beschleunigungen konnten die einwirkenden Vibrationen nur in einem geringen Maß reduziert werden. Die Vibrationswerte lagen bei einer i.d.R. sechsstündigen Fahrtätigkeit unterhalb des Auslösewertes nach Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung für die Prävention.

Im Gegensatz zu den geringen Vibrationsbelastungen hat die Auswertung der Körperhaltung bei fast allen untersuchten Haltungspositionen hohe Zeitanteile im ungünstigen, nicht-neutralen Bereich gezeigt. Für die Sagittalebene wurden hohe Zeitanteile im nicht-neutralen Bereich bei allen Betrieben für die Kopf-Neigung (bis zu 49%), Hals-Krümmung (bis zu 41%) und BWS-Neigung (bis zu 33%) beobachtet. Für die Lateralebene wurden hohe Zeitanteile im nicht-neutralen Bereich für die Halskrümmung (bis zu 43%) und Rücken-Krümmung (bis zu 30%) gemessen. Diese Zwangshaltungen sind größtenteils in Tätigkeiten vorgekommen, in denen die Testpersonen seitlich nach unten auf die Container schauen müssen. Auffällig sind die hohen Anteile für Hals- und Rücken-Torsion im Betrieb 2 (bis zu 46%), die im Gegensatz zu den anderen Betrieben in beiden Richtungen (nach links und nach rechts) eingenommen worden sind. Ein Grund dafür könnte die Fahrkabine sein, die im Vergleich zu Betrieb 1 und 3 auf der rechten Seite des Fahrzeugs positioniert ist. Bei den Fahrtätigkeiten (Last- und Leerfahrt) saßen die Testpersonen in Betrieb 2 meistens gewinkelt zur Fahrtrichtung, während diese Sitzeinstellung in den anderen Betrieben nicht möglich war oder nicht genutzt wurde. Auffällig war auch eine bestimmte Haltung, die manche Testpersonen in Betrieb 2 eingenommen haben, indem sie ihren Arm nach hinten auf dem Seitengriff abgestützt haben. Die Frage, ob diese Haltung aus ergonomischen Gesichtspunkten bevorzugt werden soll, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden. Dafür sollte eine weitere Laborstudie folgen, in dem diese Fragestellung mittels elektrischer Muskelaktivität und Belastungsfragebögen untersucht werden kann.

Der Einsatz technischer Arbeitshilfen, wie Kamera oder verdrehbare Sitze konnte nicht genau untersucht werden, da diese sehr selten bis gar nicht vorhanden waren. Die Akzeptanz gegenüber eines verdrehbaren Sitzes (wenn vorhanden) war auf Grund der "Gewohnheit" sehr gering. Um die Wirkung dieser Maßnahme zu untersuchen und sie als Präventionshilfe hervorheben zu können, ist eine zukünftige Interventionsstudie sinnvoll.

Hinsichtlich des gesundheitlichen Befindens wurden im Bereich des unteren Rückens (bis zu 60 %) und des Nackens (bis zu 50%) bei allen drei Betrieben sehr hohe Anteile an Beschwerden erfasst. Ebenso wurden hohe Arbeitsunfähigkeiten auf Grund der Rückenbeschwerden gemeldet. Die Eigenangaben der Testpersonen zur Vibrationsexposition wurden bei allen drei Betrieben überschätzt. Eine deutliche Überschätzung wurde im Betrieb 2 beobachtet, welche durch die Einschätzung der Gesamtbelastung nach Borg Skala (Median 5; starke Belastung) nochmals bestätigt wurde. Die Gesamtbelastung wurde in den Betrieben 1 und 3 als mittelmäßig bewertet (Median 3,4-4).

Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein persönlicher Bericht als "Feedback" erstellt, welches auch zukünftig jeder Testperson zur Verfügung gestellt werden kann. Hierbei werden über die physikalischen Expositionen (Vibration und ungünstige Körperhaltung) und Auffälligkeiten während der Messung berichtet. Außerdem wurden Ausgleichsübungen (mit Bild und Beschreibung) ausgesucht, welche den Belastungen, die im Rahmen der Messung erfasst worden sind, entgegenwirken können. Diese bieten Bewegungen an, die im Fahrzeug während der Wartetätigkeiten und außerhalb der Fahrzeuge ausgeübt werden können.

Zusammenfassend wurden bei allen VC-Tätigkeiten hohe Belastungen im Bereich der Körperhaltung beobachtet, obwohl die Vibrationsbelastungen in allen drei Betrieben sehr ähnlich und gering ausgefallen sind. Die hohe Anzahl der Beschwerdeangaben im Bereich des Rückens, Nackens und ebenso in den berichteten Arbeitsunfähigkeiten zeigen die Bedeutung der Berücksichtigung der ungünstigen Körperhaltung bei Vibrationsexpositionen. Deshalb sind auch zukünftige Untersuchungen notwendig, um präventive Maßnahmen zu erproben und anzubieten.

Stand:

03.04.2023

Projekt

Projektdurchführung:
  • Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
  • Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW)
Branche(n):

Großhandel

Gefährdungsart(en):

Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, Lärm/Vibrationen, Mehrfachbelastungen

Schlagworte:

Physische Beanspruchung/Belastung

Weitere Schlagworte zum Projekt:

Feldmessungen, kombinierte Expositionen, Ganzkörperschwingungen, Körperhaltungen

Kontakt

Weitere Informationen

Raffler, N.; Wilzopolski, T.; Pisano, M.; Freitag, C.: Awkward posture among whole body vibration exposed van carrier drivers at harbor. 8th American Conference on Human Vibration, 2021.06.23-25