Die Nanotechnologie wird zusammen mit der Bio- und Informationstechnologie als eine der treibenden Kräfte hinter einer neuen industriellen Revolution verstanden, die die Lebensbereiche aller Menschen durchdringen wird. Nach Schätzungen werden im Jahr 2015 weltweit nanoskalige oder mithilfe von Nanotechnologie hergestellte Produkte im Wert von 1 Billion US$ gehandelt werden. Die dabei zum Einsatz kommenden Nanomaterialien und Nanopartikel weisen gegenüber größeren Partikeln des gleichen Materials neue Eigenschaften auf und ermöglichen so entweder deutlich leistungsfähigere Produkte oder Produkte mit völlig neuen Eigenschaften.
Als Nanopartikel bezeichnet man umgangssprachlich Objekte, die in ein, zwei oder drei Dimensionen eine Größe von 1 bis 100 nm aufweisen und gezielt wegen ihrer besonderen Stoffeigenschaften hergestellt werden.
Ultrafeine Stäube weisen ebenfalls Partikelgrößen im Bereich von 1 bis 100 nm auf. Sie entstehen jedoch unabsichtlich, beispielsweise bei thermischen Prozessen (Motorabgase, Schweißprozesse, Hausfeuerung, Kerzenlicht) oder bei der mechanischen Bearbeitung von Werkstoffen. Auch im natürlichen Umweltaerosol liegen Teilchen im Bereich von 1 bis 100 nm vor. Die genaue Definition von Nanopartikeln und ultrafeinen Partikeln findet sich in folgenden Technischen Spezifikationen der ISO:
Beide, Nanopartikel wie ultrafeine Partikel, können als Agglomerate oder Aggregate auftreten. Hier sind viele kleinere Partikel mehr oder weniger stark zu größeren Strukturen miteinander verbunden. Die Frage, ob und unter welchen Umständen Nanopartikel aus Agglomeraten oder Aggregaten im Körper wieder freigesetzt werden können, ist Gegenstand intensiver Forschung.
Die neuen, erwünschten Eigenschaften nanoskaliger Materialien werfen die Frage auf, ob die bisherigen Methoden zur toxikologischen Testung von Stoffen auch für nanoskalige Partikel angemessen sind. Zu erwarten ist, dass Nanopartikel Barrieren im Körper durchdringen und in Organe gelangen können, die größeren Partikeln unzugänglich sind.
Ein Teil der erwünschten wie der unerwünschten Wirkung von Nanopartikeln basiert – unabhängig von ihrer chemischen Natur – auf ihrer gegenüber gröberen Partikeln der gleichen Zusammensetzung um Größenordnungen größeren Oberfläche und Teilchenzahl. Teilt man in einem Gedankenexperiment einen Würfel der Kantenlänge 1 cm und einer Oberfläche von 6 cm² in Würfel der Kantenlänge 1 nm auf, so erhält man 1021 Würfel mit einer Oberfläche von insgesamt 6 000 m². Masse und Volumen der Würfel haben sich insgesamt jedoch nicht geändert.
In der betrieblichen Praxis muss nicht für einzelne Partikel entschieden werden, ob es sich um Nanopartikel handelt oder nicht. Vielmehr sind größere Produktmengen, beispielsweise ein Sack eines pulverförmigen Inhaltsstoffes für eine Farbe, auf die von ihnen ausgehende Gefährdung zu beurteilen, um diese ggf. als Nanomaterial zu betrachten und geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen. Mit den Empfehlungen der EU-Kommission zur Definition von Nanomaterialien vom 18. Oktober 2011 [1] und dem begleitenden Memorandum (MEMO/11/704) [2] wurde eine jahrelange Diskussion zu ihrem – vorläufigen – Ende gebracht.
Danach werden die Mitgliedstaaten, die EU-Agenturen und Wirtschaftsteilnehmer "aufgefordert", die nachstehende Definition von Nanomaterial zu verwenden – im englischen Original "invited to use". Die Kommission betont, dass sich diese Definition ausschließlich auf die Größe von Partikeln stützt und keine Aussage zu den von einem Nanomaterial ausgehenden (oder eben nicht ausgehenden) Gefahren oder Risiken trifft.
Der Kern der Empfehlungen, Absatz 2, sei hier zitiert:
"Nanomaterial ist ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material, das Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder Agglomerat enthält, und bei dem mindestens 50 % der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben."
"In besonderen Fällen" kann ein kleinerer Schwellenwert als 50 % der Anzahlgrößenverteilung verwendet werden. Zudem werden Fullerene, Graphenflocken und einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren mit einem oder mehreren Außenmaßen unter 1 nm als Nanomaterialien betrachtet. Ein Material mit einem spezifischen Verhältnis von Oberfläche zu Volumen von über 60 m²/cm³ ist als Nanomaterial anzusehen.
Diese Definition soll bis Ende 2018 überprüft werden, insbesondere hinsichtlich des Schwellenwertes von 50 % und darauf, "ob Materialien mit einer inneren Struktur oder Oberflächenstruktur im Nanobereich (z. B. komplexe Nanokomponenten-Nanomaterialien einschließlich nanoporöse und Nanokomposit-Materialien) einbezogen werden sollten."
Nach dem Willen der Kommission soll diese Definition nicht den Geltungsbereich von Rechtsnormen präjudizieren: "In einigen Fällen kann es notwendig sein, bestimmte Materialien aus dem Geltungsbereich spezifischer Rechtsvorschriften auszuklammern, selbst wenn diese Materialien unter die Definition fallen." Dies könnte dazu führen, dass ein und dasselbe Material in einem Rechtsbereich als Nanomaterial betrachtet wird und einer besonderen Risikobewertung unterliegt, in einem anderen Rechtsbereich hingegen nicht. Diese zunächst nur theoretische Möglichkeit wird umso wahrscheinlicher, als die Definition einen sehr weiten Geltungsbereich hat.
Mit "natürlichen" Materialien können auch Materialien gemeint sein, die in hoher Tonnage in Steinbrüchen abgebaut und verarbeitet werden.
"Bei Prozessen anfallende Materialien" könnten beispielsweise Schweißrauche einschließen.
Der Schwellenwert von 50 % der Anzahlgrößenverteilung könnte dazu führen, dass sehr viele oder alle Pigmente und Füllstoffe unter die Definition von Nanomaterialien fallen und damit abertausende von auf dem Markt existierenden Produkten schlagartig zu "Nanoprodukten" werden [3]. Die gesamte Sachlage wird zusätzlich erschwert, da geeignete Messverfahren zur Bestimmung des Schwellenwertes noch entwickelt oder harmonisiert werden müssen, um dann nach dem Willen der Kommission "Leitfäden" mit "Kenntnissen über typische Konzentrationen von Nanopartikeln in repräsentativen Materialien" zu erarbeiten. Für die Gestaltung von Rechtsvorschriften stellt sich die Frage, ob neue Erkenntnisse die Einbeziehung "alter" Materialien unter den Begriff Nanomaterial rechtfertigen. Andererseits würde sich eine definitorische Abgrenzung "alter" Materialien als schwierig erweisen.
Anzumerken ist, dass die EU-Kommission mit dem Mittel der Empfehlung das nach Verordnung und Richtlinie stärkste Rechtsmittel gewählt hat. Wenngleich es für den Adressaten nicht verbindlich ist, heißt dies nicht, dass diese Empfehlung keinerlei Rechtswirkung hat. In jedem Fall entfaltet sie politische Bindungswirkung, wie sich dies am Beispiel des Vorschlages zur Biozid-Verordnung [4] beobachten lässt, den das Europäische Parlament am 19. Januar 2012 angenommen hat. Hier wird ein Nanomaterial als "ein natürlicher oder hergestellter Wirkstoff oder nicht wirksamer Stoff" definiert, der "Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder Agglomerat enthält und bei dem mindestens 50 % der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben."
[1] Empfehlung der Kommission vom 10. Juni 2022 zur Definition von Nanomaterialien (PDF, 409 KB). OJ C 229, vom 14.6.2022, S. 1–5A
[2] www.farbeundlack.de/ layout/set/print/Blog/ Auf-die-wahren-Gefahren. Veröffentlicht: 29. November 2011 von Dr. Dietmar Eichstädt, Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie e.V.
[3] DGUV Information: Beschichtungsstoffe mit Nanopartikeln - Gefährdungen bei der Verarbeitung (PDF, 195 KB) (FB HM-071)
Allgemeine Hintergrundinformation:
Jahresbericht 2001 aus dem Messnetz des Umweltbundesamtes