abgeschlossen 09/2023
In der Produktionsstrecke von Folienmaschinen sind frei zugängliche Stellen, bei denen die Folie über eine nicht angetriebene Umlenkrolle läuft, üblich und stellen häufig potenzielle Gefahrenstellen dar. Diese Stellen werden als Auflaufstellen bezeichnet. Besonders der Eingriff in eine solche Auflaufstelle ist bisher bezüglich der Gefährdungsanalyse wenig bis kaum beschrieben. Bei Eingriff kann das jeweilige Körperglied, häufig die oberen Extremitäten, eingezogen werden, sodass mitunter ein selbstständiges Entfliehen nicht mehr möglich ist. Dies kann zu leichten bis schweren Verletzungen führen, darunter auch Abrisse von Extremitäten. Diese Problematik ist bekannt, jedoch gibt es bislang keine ausreichende Beurteilungsgrundlage zur Bewertung einer solchen Gefährdung.
Für typische Konfigurationen von Auflaufstellen sollten mittels einer Berechnung und einer Prüfeinrichtung die zu erwartenden Einzugskräfte ermittelt bzw. gemessen werden, sodass dem Betreiber und der Aufsichtsperson eine gezielte Beurteilung hinsichtlich der Einzugsgefahr ermöglicht wird. Eine Gefährdungsanalyse soll bereits in der Konzept- und Konstruktionsphase einer Folienmaschine durch Betreiber und Hersteller durchgeführt werden, weshalb die Entwicklung eines mathematischen Modells, basierend auf verschiedenen Funktions- und Wirkstrukturen der Maschine, erwünscht ist. So können Gefährdungen bereits vor Inbetriebnahme einer Folienmaschine erkannt und vermieden werden.
Eine ausführliche Sichtung der Literatur und eine Herstellerbefragung lieferten einen Überblick, welche Eigenschaften für eine Gefährdung an Auflaufstellen zu berücksichtigen sind. Zudem wurden fallbezogene Zulässigkeitsgrenzen auf Basis menschlicher Körperkräfte ermittelt, die ein selbständiges Entfliehen aus der Gefahrenstelle noch ermöglichen.
Auf dieser Grundlage wurde ein Modell entwickelt, welches relevante Einflussgrößen berücksichtigt und mit dem der Einzug in eine Auflaufstelle abgeschätzt werden kann. Für verschiedene Folienmaterialien (z. B. Polyethylen (PE), Polypropylen (PP)) und Folienstärken im Bereich von 50 bis 200 µm sollten die Einzugskräfte für unterschiedliche Reibungskonstellationen eines Prüfkörpers untersucht werden. Dabei sollten die Prozessgeschwindigkeiten (ab 10 bis etwa 100 m/min) schrittweise erhöht werden, bis die Grenzbelastung erreicht ist oder es zu einem Abriss der Folienbahn kommt. Ebenfalls können der Umschlingungswinkel, die Bahnzugkraft und der Wellendurchmesser variiert werden. Zur Validierung des Modells wurde eine Prüfeinrichtung entwickelt, die die Belastung auf einen Prüfkörper beim Eingriff unter realen Bedingungen an einem Folienwickler misst. Durch Variation der Parameter soll das Modell iterativ optimiert werden.
Aus publizierten Studien über die Körperkräfte bei Zugbewegungen der oberen Extremität wurden Einzugskräfte abgeleitet, die wahrscheinlich kritisch für das selbstständige Entfliehen sind. Je nach Position, Geschlecht und Ausführung der Bewegung wurden Kräfte größer als 150 N (bis max. 300 N) identifiziert.
Zur Erfassung der Einzugskräfte wurde ein Messgerät zur Nachbildung des Einzugs eines Prüfkörpers in eine Auflaufstelle entwickelt. Für drei Folien, die sich hinsichtlich Material (z. B. PE, PP, TPU), Struktur (z. B. zweilagig), sowie der Foliendicke unterschieden, wurden die Einzugskräfte messtechnisch erfasst. In einer ersten Messreihe wurden zwei Prüfkörper mit unterschiedlichen Reibungseigenschaften und Geometrien (flach bzw. keilförmig) verwendet. Der Prüfkörper wurde schrittweise um 10 mm bis 100 mm in die Gefahrenstelle bewegt. Der Umschlingungswinkel betrug ca. 135° und der Walzendurchmesser 120 mm. Die resultierenden Kräfte zeigten eine Abhängigkeit von der Eindringtiefe und der anliegenden Bahnzugkraft (100 N bis 250 N) und lagen je nach Konstellation der Auflaufstelle über der kritischen Kraft. Zu Beginn des Kontakts wurde ein Kraftanstieg gemessen, der mit zunehmender Eindringtiefe der mehrfachen Bahnzugkraft entsprechen konnte. Mit zunehmender Kontaktdauer fielen die Kräfte aufgrund der Regelung der Folienmaschine in den Bereich des Bahnzugs ab. Bei Beendigung des Kontaktes durch Herausziehen des Prüfkörpers wurde erneut ein leichter Anstieg der Kraft festgestellt. Ein Folienabriss wurde nur bei einigen wenigen Versuchen mit der dünnsten Folie beobachtet.
Basierend auf physikalischen Grundlagen zur Beschreibung des Systems aus Walze und Folienbahn wurde ein erstes einfaches mathematisches Modell zur Abschätzung der resultierenden Einzugskraft erstellt. Die weitere Validierung erfordert eine größere Datengrundlage als bislang erfasst, da besonders die Reibungseigenschaften zwischen den Kontaktkörpern häufig nicht eindeutig bestimmt werden können. Außerdem soll der Einfluss des Umschlingungswinkels in weiteren Betriebsmessungen mit Hilfe des entwickelten Messgerätes näher untersucht werden. Sämtliche Daten sollen anschließend in einen Datenpool integriert werden, der als Grundlage für die Gefährdungsanalyse dient.
Chemische Industrie
Gefährdungsart(en):Mechanische Gefährdungen
Schlagworte:Prävention
Weitere Schlagworte zum Projekt:Auflaufstellen, Einzugsgefährdung, Folienmaschinen, Risikobeurteilung, "Prüfhand", Konzeption einer Prüfeinrichtung
Clermont, M.: Entwicklung einer Messeinrichtung zur Ermittlung von Einzugskräften an Auflaufstellen von Folienmaschinen (Poster). DGUV-Forum Forschung der Unfallversicherungsträger, Nümbrecht, 6./7. Oktober 2022
Clermont, M.: Entwicklung einer Messeinrichtung zur Ermittlung von Einzugskräften. Nr. 0437, Ausgabe 12/2022, 2 S. In: Aus der Arbeit des IFA. Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin – Loseblatt-Ausgabe
Clermont. M., Zimmermann, J.: Estimating hazards of feed zones in transportation process of flexible foils on roller in foil machines – Literature research and conception of a measurement. 5th PEROSH Research Conference & Anniversary event (20 years PEROSH), 6-8 September 2023, Stockholm, Sweden