Die Fortführung der Erwerbstätigkeit während der Schwangerschaft oder der Stillzeit ist im Fall von Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen mit Expositionen gegenüber Gefahrstoffen nur zulässig, wenn eine unverantwortbare Gefährdung sicher ausgeschlossen werden kann. Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) spricht von einem "Maß", das nicht erreicht oder überschritten werden darf, wenn eine Schwangere oder Stillende Gefahrstoffen ausgesetzt ist oder ausgesetzt sein kann, um eine schädliche Wirkung auf Mutter oder Kind zu vermeiden. Dieses "Maß" zu bestimmen, beispielsweise durch die Ableitung von Grenzwerten für die inhalative oder innere Belastung für Schwangere und Stillende, ist schwierig. Risikokonzentrationen nach der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 910 und Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW, nach TRGS 900) oder MAK-Werte (MAK: Maximale Arbeitsplatzkonzentration) sind nicht unmittelbar anwendbar: Sie werden abgeleitet für voll belastbare Erwachsene und sind nicht zwangsläufig auf schwangere oder stillende Frauen und geborene oder ungeborene Kinder übertragbar. Hinweise zum Ausschluss bzw. dem Vorliegen einer unverantwortbaren Gefährdung können die Bemerkungen zur fruchtschädigenden Wirkung zu einem AGW (Bemerkungen "Y" oder "Z" in der TRGS 900) oder die Schwangerschaftsgruppe eines Stoffes in der MAK- und BAT-Werte-Liste liefern. In vielen Fällen ist jedoch die Datenlage unzureichend, sodass weder die Bemerkung Y oder Z (TRGS 900) vergeben werden kann noch die Schwangerschaftsgruppe D (MAK- und BAT-Werte-Liste) anwendbar ist. Zur Bedeutung der Bemerkungen und Schwangerschaftsgruppen zu fruchtschädigenden Wirkungen siehe unten.
Zusammengefasst ist es für viele Stoffe nicht möglich, Grenzwerte zu ermitteln, die hinsichtlich einer fruchtschädigenden (syn: entwicklungsschädigenden) Wirkung als sicher anzusehen sind. Vor diesem Hintergrund gelten für bestimmte Gefahrstoffgruppen - insbesondere auch mit Blick auf die Schwere der adversen Effekte - besonders strenge, pauschale Regelungen.
Nach §11 (1) Satz 2 MuSchG sind Tätigkeiten oder Arbeitsbedingungen für Schwangere grundsätzlich unzulässig, wenn sie Gefahrstoffen ausgesetzt werden (können), die nach CLP-Verordnung eingestuft sind als
Explizit aufgeführt unter §11 (1) MuSchG werden zusätzlich noch Blei und Bleiderivate, die aber durch ihre Einstufung als reproduktionstoxisch ohnehin schon unter diese Regelung fallen.
Unzulässig sind auch Tätigkeiten oder Arbeitsbedingungen, wenn die schwangere Frau Gefahrstoffen ausgesetzt ist, die als Stoffe ausgewiesen sind, die auch bei Einhaltung der arbeitsplatzbezogenen Vorgaben möglicherweise zu einer Fruchtschädigung führen können, z.B. AGW mit Bemerkung "Z" (TRGS 900) oder MAK-Werte der Schwangerschaftsgruppe A (MAK- und BAT-Werte-Liste).
Alle Regelungen gelten unabhängig von der Ursache und Höhe der Exposition. Tätigkeiten mit Gefahrstoffen sind genauso betroffen wie Innenraumbelastungen, die beispielsweise aus einem belasteten Baukörper oder Ausgasungen aus dem Inventar resultieren. Es ist dann immer – auch bei sehr geringen Expositionen (oberhalb der Hintergrundkonzentration) - von einer unverantwortbaren Gefährdung auszugehen.
Abweichend von den oben genannten Regelungen ist eine Weiterbeschäftigung nach §11 (1) Satz 3 MuSchG nur zulässig, wenn aus anderen Gründen eine unverantwortbare Gefährdung sicher ausgeschlossen werden kann. Dies ist beispielsweise anzunehmen, wenn Grenzwerte vorliegen und eingehalten werden, die vor Fruchtschädigung schützen, also für AGW mit der Bemerkung "Y" (TRGS 900) oder nachrangig MAK-Werte der Schwangerschaftsgruppe C (MAK- und BAT-Werte-Liste). Ebenso ist eine Weiterbeschäftigung möglich, wenn ein Stoff nicht in der Lage ist, die Plazentaschranke zu erreichen oder zu überwinden.
Für einzelne Stoffe oder Stoffgruppen können abweichende, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Regeln des Ausschusses für Mutterschutz (MuSchR) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erlassen werden.
Für Stillende gibt es nur für zwei Gefahrstoffgruppen konkrete Vorgaben des MuSchG, die bei einer möglichen Exposition eine unverantwortbare Gefährdung bedeuten. Dabei handelt es sich einerseits um Blei und Bleiderivate, wenn die Gefahr besteht, dass diese Stoffe vom menschlichen Körper aufgenommen werden (vgl. oben). Andererseits gilt das auch für Stoffe, die nach CLP-Verordnung aufgrund ihrer Wirkungen auf oder über die Laktation (Kennzeichnung H362) eingestuft werden müssen. Liegt diese Einstufung nicht vor, ist dies jedoch nicht zwingend gleichbedeutend mit dem Ausschluss einer unverantwortbaren Gefährdung. Informationen darüber, inwieweit von einer schädigenden Wirkung eines gesundheitsschädigenden Stoffes über die Muttermilch auszugehen ist, liegen in der Regel nicht vor. Eine systematische Prüfung ist weder in der CLP-VO noch gemäß Verordnung (EG) Nummer 440/2008 (Prüfmethoden-Verordnung) vorgeschrieben und wird demzufolge in aller Regel auch nicht durchgeführt. Entsprechend sollten auch Stillende unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips zumindest nicht gegenüber krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen der Kategorien 1A und 1B exponiert werden.
Liegen Expositionen gegenüber gesundheitsgefährdenden Gefahrstoffen vor, die nicht unter die oben genannten Regelungen fallen, ist eine pauschale Gefährdungsbeurteilung für Schwangere und Stillende nicht möglich. Es gilt jedoch der Grundsatz, dass eine unverantwortbare Gefährdung sicher ausgeschlossen werden muss. Bei Stoffen mit AGW sind die Bemerkungen zur fruchtschädigenden Wirkung nach TRGS 900 zu beachten (siehe oben). Liegen keine AGW vor, können nachrangig die Einträge in der MAK- und BAT-Werte-Liste hinsichtlich der Schwangerschaftsgruppe Hinweise zum Ausschluss oder dem Vorliegen einer unverantwortbaren Gefährdung liefern.
Expositions- und Risikobewertung
Tel: +49 30 13001-3150