Einleitung:
Selen ist ein essenzielles Element, das im Boden vorkommt und über Pflanzen in die Nahrungskette gelangt. Da das Vorkommen von Selen je nach Region schwankt, ist seine Aufnahme weltweit sehr unterschiedlich. Selenexpositionen am Arbeitsplatz können bei der Kupferverhüttung und bei der Produktion von Pigmenten, Glas, Gummi, Plastik, Arzneimitteln und elektronischen Geräten auftreten. Der wichtigste Aufnahmeweg von Selen sind hier die Atemwege. Ziel dieser epidemiologischen und toxikologischen Risikobewertung von Selen und seinen Verbindungen ist die Ableitung einer Exposition-Risiko-Beziehung (ERB) für das Krebsrisiko. Sofern ein Krebsrisiko oder eine ERB nicht ermittelt werden kann, ist das Ziel die Ableitung eines Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW), basierend auf dem empfindlichsten Endpunkt.
Diabetes:
Die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Selenexposition und Typ-2-Diabetes, die aus 14 Humanstudien (klinische Studien zur Selensupplementierung, Fall-Kontroll-Studien, Kohorten- und Querschnittsstudien) ermittelt werden konnte, ist widersprüchlich. Drei Studien zu Tierversuchen, in denen Selen über die Nahrung zugeführt wurde, untersuchten Endpunkte im Zusammenhang mit Diabetes. Diese Studien geben Hinweise auf die biologische Wirkung von Selen durch den möglichen Einfluss auf die Glucoseregulierung. Für eine eindeutige Rolle bei der Entwicklung von Prädiabetes reichen sie nicht aus. Studien zum Wirkungsmechanismus zeigen einen U-förmigen Zusammenhang zwischen Selenproteinen und einem Risiko für Typ-2-Diabetes, der die z. T. widersprüchlichen Ergebnisse in epidemiologischen Studien erklären könnte.
Krebs:
Die Evidenz aus 65 Humanstudien zu organischen Selenverbindungen zeigt einen inversen Zusammenhang zwischen Selenexposition und dem Risiko verschiedener Krebsarten, besonders bei Männern. Diese Daten liefern keinen Beweis für eine Erhöhung eines Krebsrisikos mit der Aufnahme von organischen Selenverbindungen. Die Evidenz bei anorganischen Selenverbindungen ist unzureichend, da keine zuverlässigen Studien vorliegen. In elf Studien wurde die Kanzerogenität von Selen bei oraler Aufnahme an gesunden Versuchstieren untersucht. Studien im National Toxicology Program (NTP) zeigen, dass die orale Aufnahme hoher Dosen von Selendisulfid bei Ratten und Mäusen Lebertumore verursachen kann, es liegen aber keine entsprechenden Inhalationsstudien vor. Die vorliegenden Studien waren auch unzureichend dafür, ein mögliches Krebsrisiko am Arbeitsplatz zu untersuchen. Einige Studien zur Behandlung mit Selenverbindungen bei Initiation-Promotion-Versuchen sowie Studien, die chemopräventive Effekte im Tiermodell bei verschiedenen Krebsarten untersuchten, wurden näher betrachtet. Die Ergebnisse dieser Studien sind widersprüchlich. Abhängig vom Studiendesign, von der Expositionszeit mit Selen in der Kanzerogenese und der Kombination mit anderen Chemikalien hatte die Behandlung mit Selen einen protektiven oder einen verstärkenden Effekt auf die Tumorentstehung. Der endgültige Wirkmechanismus von Selen auf die Entstehung von Krebs konnte nicht nachgewiesen werden, entsprechende Studien weisen aber darauf hin, dass Selenverbindungen mit einem niedrigen Molekulargewicht und auch Selenproteine einen Einfluss haben. Zudem könnte – neben anderen Faktoren – der Polymorphismus der die Selenproteine codierenden Gene ein Grund für die widersprüchlichen Aussagen sein. In zahlreichen Studien konnte man zeigen, dass Natriumselenit, -selenat, -selenid und Selendioxid die Gentoxizität von Mutagenen hemmten. Selen und seine anorganischen Verbindungen allein zeigten bei hoher Dosierung ein gentoxisches Potenzial, aber es ist unklar, ob dies auch bei geringen Expositionen, denen der Mensch ausgesetzt ist, auftritt.
Schlussfolgerung:
Zahlreiche Studien haben einen möglichen Zusammenhang zwischen Selenexposition und den Endpunkten Diabetes oder Krebs untersucht. Schlussfolgerungen zu einem Ursachenzusammenhang von Selen für diese Krankheiten können aber nicht gezogen werden. Insgesamt sind die bisherigen Ergebnisse zu Krebs und Diabetes nicht ausreichend, um eine ERB oder einen AGW für Selen abzuleiten.
Birk, T.; Begemann, P.; Turnbull, D.; Mundt, K.A.: Derivation of an Exposure-Risk Relationship (ERB) or alternatively an Occupational Exposure Limit (AGW) for Selenium and ist Compounds (Ableitung einer Exposition-Risiko-Beziehung (ERB) oder alternativ eines Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) für Selen und seine Verbindungen) (IFA Report 5/2014e). Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin 2014
ISBN: 978-3-86423-132-2
ISSN: 2190-7994