Kurzfassung: Viele Zytostatika haben einen gentoxischen Wirkmechanismus und sind als krebserzeugend eingestuft. Für Beschäftigte im Gesundheitswesen, die mit der Zubereitung, Verabreichung und Entsorgung solcher Therapeutika betraut sind, muss daher von einer gewissen gesundheitlichen Gefährdung ausgegangen werden. Auf Initiative der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege wurde im Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitssicherheit - BIA nach Auswertung der relevanten Veröffentlichungen eine Abschätzung des spezifischen Krebsrisikos für sechs ausgewählte Zytostatika vorgenommen: Cyclophosphamid, Melphalan, Methotrexat, 5-Fluoruracil, Cisplatin und Etoposid.
Die quantitative Risikoabschätzung anhand der verfügbaren tierexperimentellen Daten wurde mit den etablierten Methoden des linearisierten Multistage-Verfahrens und des sog. LED10-Verfahrens durchgeführt. Daneben wurden epidemiologische Studien ausgewertet. Der Interspeziesvergleich erfolgte unter der Annahme einer gleichen Empfindlichkeit von Versuchstier und Mensch auf der Basis der Kanzerogenkonzentration im Umweltmedium bei langfristiger Exposition.
Damit wurden für Cyclophosphamid konsistente spezifische Risikowerte in der Größenordnung von 2 · 10-6 mg-1 abgeleitet, d. h., pro Milligramm kumulativ aufgenommenen Cyclophosphamids ist von einer Erhöhung des Lebenszeit-Tumorrisikos von 2 : 1 000 000 auszugehen. Die kanzerogene Potenz von Melphalan ist als mindestens zehnfach stärker zu bewerten. Nur spärlich vorhandene Literaturdaten deuten darauf hin, dass die kanzerogene Potenz von Methotrexat und 5-Fluoruracil geringer ist als diejenige von Cyclophosphamid, falls diese beiden Antimetaboliten überhaupt ein kanzerogenes Potenzial besitzen. Aus den wenigen Tierversuchen mit Cisplatin kann man mit großer Unsicherheit auf eine höhere kanzerogene Potenz als bei Cyclophosphamid schließen. Für Etoposid lässt sich mit Blick auf die epidemiologischen Erfahrungen ein spezifisches Risiko von 2 bis 5 · 10-6 mg-1 als Anhaltswert errechnen.
Als Berechnungsgrundlage bezüglich der Exposition am Arbeitsplatz erscheinen Messungen der Cyclophosphamid-Ausscheidung im Urin von Krankenhauspersonal geeignet. Bei 35-jährigem arbeitstäglichem Umgang ergibt sich daraus ein zusätzliches Tumorrisiko zwischen 2 · 10-5 (2 : 100 000) und 7 · 10-4 (7 : 10 000). Relevante Aspekte der Risikobewertung sowie der Risikoakzeptanz werden diskutiert.
Roller, M.; Eickmann, U.; Nies, E.: Krebsrisiko durch beruflichen Umgang mit Zytostatika - quantitative Betrachtungen. BIA-Report 5/2001. Hrsg.: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Sankt Augustin 2001. ISBN: 3-88383-581-1